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Senken wir doch einfach die inneren Kosten
Kathrin Rögglas "junk space" und "Nach dem glücklichen Tag" von Gerhild Steinbuch beim Steirischen Herbst  


"klar, wir sind alle nur menschen! aber sag das mal jemandem auf den kopf zu!", hieß es in Kathrin Rögglas "wir schlafen nicht", einem Doku-Roman über die übernächtigten Workaholiker des Neoliberalismus. Mit ihren Reflexionen aus dem beschädigten Arbeitsleben hatte Röggla das Krankenblatt über den Boom und die Kollateralschäden der Neunziger nachgereicht, die als eine der schlafärmsten Epochen in die Geschichte des Kapitalismus eingehen werden.

Seit dem Ende der New Economy können viele der von Röggla zwischen zwei Buchdeckeln gebetteten Adrenalin-Junkies Schlaf nachholen. In ihrem neuen Stück "junk space", das nun beim Steirischer Herbst uraufgeführt wurde und von Mitte November an im Zürcher Theater am Neumarkt zu sehen sein wird, brennt der Turbolader des Kapitalismus noch einmal neurotisch nach. Genau wie alle anderen werden die Flugangstpatienten des Stücks das Zurückstellen der Uhren verschlafen haben, jenes kleine Luftloch der Schwerelosigkeit, in das die Maschine Mensch plötzlich sackt.

Die Zeitumstellung spendiert einem jeden Herbst eine Ehrenrunde auf der Achterbahn der Träume, obwohl es sich dabei eigentlich um ein schlechtes Transfergeschäft handelt. Morpheus bekommt eine einmalige Gutschrift aufs Zeitkonto, dafür muss er den ganzen Winter Zinsen zahlen; die Währung heißt Lux. Doch den Jetlag haben alle, wenn der Wintergott bereits am Nachmittag seinen Tuschepinsel im Himmel auswäscht. Als Komplementärchromatik zum aufquellenden Dunkel gießt man einen Schuss Milch in den Kaffee und schickt ein paar Zuckerwürfel hinterher wie freundliche Wasserbomben in ein schwarzes Meer der Depression. Wer in Österreich ist, bestellt sich gleich eine Melange. Gestärkt von einer Tasse voll Sonne macht man sich auf den Weg ins Theater, durchs herbstliche Graz, wo die Blätter an den Bäumen sich anscheinend zum kollektiven Freitod verabredet haben. Oben veranstaltet das Laub noch den Konfettiregen einer Parade, unten versucht es bereits, einem die Füße einzubetonieren. Herr Schorf würde sagen, er habe wieder seine Hemmschuhe an. Gemeint ist die Panik, die ihn befällt, wenn er in ein Flugzeug steigen soll. Herr Schorf ist einer von fünf Teilnehmern eines Seminars gegen Flugangst. Das Stück spielt ausschließlich während der Seminarpausen, und darin zeigt sich der Doppelsinn des titelgebenden Begriffs "junk space": junk space nennt der Architekt Rem Koolhaas die verschnittenen Ecken der Investorenarchitektur, den letzten Rest öffentlichen Raums. Und dem entsprechen sozusagen die verspiegelten Zeitfenster der Arbeitswelt. Deren Effizienzlogik haben die Seminarteilnehmer so sehr verinnerlicht, dass sie -- anstatt "ihre probleme zu umarmen" -- ihre Karriereleitern sofort wieder mobbend aufstellen, mit der bösen Pointe, dass der überangepasste, "empathietrittsichere" Herr Schorf zum neuen Leader wird.

Bald wird Leopold von Verschuers Herr Schorf die Kreide, die er sein Berufsleben lang gefressen hat, wieder auskotzen. Und später wird er das ewige Praktikantinnenhascherl, das sich als "kommunikationsschadstoff mit einem erfolgsknoten im hals" bezeichnet, in allen Stellungen vergewaltigen, als wäre sie sein Heimtrainer. Und zwischendurch huschen Herr Schulze und Frau Schultze als chorische Flugbegleiter durch diesen neunzigminütigen Theaterkurzstreckenflug und kommentieren maliziös das Geschehen.

Wie all ihre Texte beruht auch "junk space" auf Protokollen Betroffener, aber der Witz und der Reiz besteht darin, dass die Monteurin Röggla ihre Sprechautomaten solange mit ihrem eigenen Business-Slang füttert, bis die Sprachkritik umschlägt in konkrete Poesie. Passagenweise liest sich "junk space" wie eine zum Wasserkopf mutierte Anthologie von BWLer-Aphorismen ("senken sie doch einfach ihre inneren kosten!", "jeder buddelt sich sein eigenes magengrab", "mir fällt immer mein unternehmen auf den kopf").

Teller, die die Welt bedeuten

Tina Lanik, die vor zwei Jahren Rögglas "fake reports" inszeniert hat, ist bereits erfahren darin, Rögglas Texte vom Kopf auf die Füße zu stellen. Nur manchmal sind diese Füße etwas zu putzige Pfötchen, wenn sie etwa aus dem Zwei-Personen-Chor hoppelnde Bunnys mit Perlweiß-Lächeln macht, weil die Uraufführung als "Trimm-Dich für Angsthasen" untertitelt ist. Magdalena Gut hat für die Uraufführung einen psychedelischen Lochblech-Albtraum aus dem Stabilokasten als Bühnenbild zusammengeschraubt. Darin wird das Stück zur Groteske justiert: ein Werk der Theatermechanik und doch so gekonnt, dass es in dieser Inszenierung den Anspruch erheben darf, der legitime Nachfolger von Urs Widmers Manager-Drama "Top Dogs" zu sein -- nur witziger und böser. Zu entdecken gibt es einen Abend komödiantischer Wertschöpfung und in Birgit Stöger als Fehlleistungsvirtuosin Frau Schneider ein hoch dotiertes Talent.

Einmal sinnieren die Bühnenbunnys über die bevorstehende "Verbuschung" Deutschlands im Zuge der Rezession. Wo einst Ikea und Siemens universelle Landmarken waren, erobert sich die Natur ganze Landstriche zurück, als "hässlicher Sekundärwald". Dass dieser postzivilisatorische Sekundärwald auch wieder ein romantischer Märchenwald sein könnte, das beweist die gerade mal 21-jährige Grazerin Gerhild Steinbuch mit ihrem zweiten Stück. "Nach dem glücklichen Tag" ist eine Art "Hänsel und Gretel"-Paraphrase mit dem Unterschied, dass sich Hänsel in die böse Hexe verliebt, wobei die Hexe die Mutter seiner Freundin Marie ist. Weil die ihrer Tochter nicht verzeihen kann, dass sie sich abgenabelt hat, mästet sie den Paul solange mit pfefferkuchensüßen erotischen Versprechungen, bis Marie reif ist für den mütterlichen Racheofen.

Auch dieses Stück lebt vor allem von seinen Sprachbildern, wenn etwa die Marie zur Mutter sagt: "Wie ich bei der Tür raus bin hab ich tief Luft geholt und dich damit vergessen gehabt. Und meine Augen warn nicht mehr zugeklebt, die sind zwei Teller geworden auf denen die Welt geschwommen ist, und in der Mitte von der Welt ist der Paul gewesen." Marieluise Fleißer trifft Sarah Kane, aber Gerhild Steinbuch trifft leider auch den Grazer Intendanten Matthias Fontheim, der sich einen zu plumpen Regiereim auf die verwunschene Poesie des Stücks gemacht hat. Er inszeniert es als Generationenclinch unter pilzigen Zellstoffbahnen, die das mütterliche Spukhaus andeuten. Friederike Bellstedt sitzt zu Beginn auf einer der grauen Schachteln, in denen sie ihr Leben archiviert hat, und stellt mit dem fein geschroteten Aplomb der verhärteten Körnerfrau den Text aus. Doch nichts ist hier beklemmend, alles unfreiwillig beklommen. Man lässt die Sätze wie flache Kiesel über die Oberfläche flitschen, um nicht in den Brunnen zu blicken, aus dem Steinbuch ihre Wahrheiten schöpft. Reingefallen ist man trotzdem. Zu hoffen bleibt, dass die Schaubühne in Berlin sich tiefer beugt. Auch dort hat man die Autorin schon entdeckt.

Christopher Schmidt

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung, 03. 11. 2004