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"Foyer": Dodlers tolldreistes Theater


Der Dichter ist Wolfgang Bauer. Das Stück ist "Foyer", ein Werk für den "steirischen herbst". Es hat am 9. Oktober in der Grazer Helmut-List-Halle Premiere. Der Dichter hat sich zwei Jahre zum Nachdenken genommen und neun Tage zum Herunterklopfen gegeben. Eine runde und grausliche Sache. "Foyer" ist ein fokussierter Bauer vom Feinsten.
Der Inhalt ist schnell erzählt: Man kann ihn nicht erzählen. Denn alles Gedachte gilt im selben Nu nimmer. Dazu lacht Bauer sehr ernst: „Das Leben läuft anders, als man sich’s vorstellt. Ganz anders, als man glaubt, dass es ist und war.“ Ein Versuch: Der Dichter Dodler – nomen est klarerweise omen – will in die Uraufführung des eigenen Stücks. Es zeigt sein „tolldreistes Leben“. Er kommt und kommt nicht in die Vorstellung, die letztlich „obszön“ (also hinter der Szene) passiert und ziemlich obszön ist. Und ihm unbekannt. Unentwegt stoßen ihn Typen von Garderobiere bis Kritiker darauf, dass sein Stück seit 70 Jahren liefe und eh ganz anders … Also reichlich Drunter und Drüber und Umi von Realität, Identität, Zeit, Metaphysik. Es gipfelt via Ich-Transplantation von President Bush und Maier Hermann in einem Blutbad. Logisch. Vor solchem philosophisch-zynisch-verzweifeltem Hintergrund setzt Bauer alles souverän ins Werk, schizophren und mit Schmäh, der flott und bitter fährt wie der unverwechselbare Bauer-Sound. Blanker Jazz.
Neue Regeln. Wie er da sitzt und redet, sich von eigener Begeisterung mitreißen lässt, die ansteckt, heiter und unverwüstlich nach Herzoperation mit Komplikation und Sensation, wie er sich ein Zigaretterl … jaja, der Gott des Rauchopfers sieht alles, aber in seiner Weisheit weiß er, wann wegschauen … ist er ganz „Magic Wolfi“. Da fällt wieder ein, was im „Styrian Window“ über ihn als Dichter-Figur der 70er steht: Ob er „schlechte Gedichte“ schrieb oder Dramen, ob er im Wirtshaus Abenteuer aus Singapur, Los Angeles und Klagenfurt vortrug, als Maler aktiv war – Öl auf Leinwand, Filzstift auf Tischtuch, egal, er geht mit jedem Material locker um –, ob er beim Fernseh-Interview eine Rose verschlang oder sich beim Essen interviewen ließ, um die Antworten nur mit vollem Mund zu geben („Wie’s war? Immerhin a Skandal“), ob er Dunkelkammer-Lesungen und Happenings machte, mit Gunter Falk „Happy Art & Attitude“ konstituierte und mit dem „Essen für Biafra“ für rechte Empörung auch bei Linken sorgte, ob er neue Spiele erfand wie das „Free Schach“, oder alten Spielen neue, verblüffende Regeln gab, ob er nach der Sperrstunde Erscheinungen hatte, Stücke inszenierte, Drehbücher tippte oder nachts ein zufälliges Dutzend von Leuten anrief, um die Telefonate mitzuschneiden und dem Rundfunk als Hörspiel zu verkaufen, ob er vor sich hinblödelte und zu verstehen gab, es durchaus ernst gemeint zu haben, ob er Gericht hielt und jemandem das Schlimmste, zu dem er fähig ist, an den Kopf warf, nämlich „schlechter Künstler!“, ob er mit Wiener Strizzis pokerte, Geschichten für Zeitungen in die Maschine klopfte – das alles war ein einziger poetischer Akt und schien in einer Aura von Vitalität, Lust, Grenzenlosigkeit und kalkuliertem wie passiertem Wahnsinn zu geschehen.
Die ganze Chose. „Ich hab da verschiedene Ideen entwickelt. Die primitivste hab ich dann ausgearbeitet, verstehst? Da kann man an die ganze Chose experimentell gut herangehn.“ Die Inszenierung obliegt nun Monika Klengel und Pia Hierzegger vom Grazer „Theater im Bahnhof“. Zu diesen Leuten – laut „Presse“ die „Murks-Brothers des anarchischen Spaß-Theaters“ – hat er „volles Vertrauen.“ Er war vom Potpourri, das sie bereits aus seinem Werk gepuzzelt haben, angetan. „Eh sehr gut.“
„Foyer“ liest sich wie eine Engführung des bisherigen Bauer’schen Werks. Nicht zufällig weist „Foyer“ etymologisch auf die Feuerstelle und den Brennpunkt hin, es ist mit dem Fokus verschwägert. Wie im „Fröhlichen Morgen beim Frisör“ wird – ob mit Maurerkelle oder Stoppelzieher – am lebenden Menschen gebaut und gebastelt. Wie in der „Kantine“ spielt Theater als Ort von Verwandlung, Doppelbödigkeit und als fakultative Wohnstatt des Deus ex machina selbst tragende Rollen. Wie in „Party for Six“ ist es stellenweise – Verhöhnung des Voyeurs im Zuschauer und Rauberleiter unsrer Fantasie – einfach zappenduster. Wie in „Herr Faust“ gibt es den Teufel. Der ist diesmal Regisseur. Und heißt – no? – Pieter van Mief. Wie bei „Massaker im Hotel Sacher“ gipfelt es in einem Anschlag. Damals bot Vietnam die von realem Blut triefende Kulisse, heute ist es der islamistische Terror.
Wie immer bei Bauer gilt die Frage nach der sogenannten Wirklichkeit. Und nach dem Wert von Kunst in einer witzlosen und zum Kotzen spießig-spaßigen Gesellschaft, speziell im Theater, das nie totzukriegen ist, auch wenn es keinen Genierer hat, sich selbst zu verraten.
Zertrümmerte Identität. Der Autor hat bei Bauer stets das Bummerl. So einer wird sich, wie in „Change“, am Klo erhängen. Oder wird, wie im aktuellen Brennpunkt, Selbstmordattentäter. Eine zertrümmerte Identität irrlichtert zwischen Wahnsinn und Wohltat, der Sehnsucht nach einem Hegel’schen Ganzen und dessen Verspottung, zwischen der Geste des Erschaffens und der Vernichtung des Alls. Was bleibt, ist eine allerletzte, stolz-verzweifelte Geste: Der surrealistische Akt, der das Ende des eigenen Lebens miteinschließt.
„Gilt, Herr Bauer, Goethes ,Stirb und werde‘ auch unter diesem Blickwinkel?“ „Nnnna.“
„Zu bombastisch?“
„Nnnna, zu optimistisch. Viel zu hoffnungsvoll. Dass der Künstler sich und andere umbringt, ist ernst gemeint, sehr ernst. Ich habe ja nicht den kleinsten Funken einer Hoffnung. Sondern die furchtbare Vision, dass nach dem Tod die Welt so bleibt, wie sie ist. Schrecklich! Und meine größte Angst ist, dass es kein Paradies gibt ...“
Im „Foyer“ sehen wir Theaterbesucher den Theaterbesuchern auf der Bühne beim Verlassen des Theaters zu und werden das Theater selbst verlassen. Dann gilt wieder, dass man lebt, wie man träumt. Allein.
Es wächst bitt’ schön das Rettende auch: Im Feber. Volkstheater. „Change“.

Mathias Grilj

erschienen in:
Die Presse, Schaufenster, 24. 09. 2004