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Nahtwanderung
Steirischer Herbst: Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek verwandeln David Lynchs „Lost Highway“ in Musiktheater


Mit „Bählamms Fest“ gelang Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek 1999 geradezu Erstaunliches: Der gängigen Praxis zum Trotz, dass zeitgenössisches Musiktheater bald nach der Uraufführung wieder in jener Schublade verschwindet, aus der es gekommen ist, war der surrealistische Familienhorror in den vergangenen drei Jahren bereits in drei Inszenierungen zu sehen. Entsprechend hoch lag die Latte für den nächsten Coup aus der Werkstatt Neuwirth/Jelinek, für „Lost Highway“ nach dem gleichnamigen Film von David Lynch und Barry Gifford beim Steirischen Herbst in Graz. (Es war übrigens genau dieses Festival, das vor nunmehr siebzehn Jahren die beiden bekanntesten Künstlerinnen der Steiermark zusammenführte: Die 15-jährige Olga nahm damals noch an einem Schülerprojekt von Hans Werner Henze teil, für das Elfriede Jelinek das Libretto beigesteuert hatte.)

„Lost Highway“ ist zweifellos einer der rätselhaftesten Filme der letzten Jahre. Die Handlung ist konzipiert nach Art einer Möbiusschleife, ein in sich verschlungenes Gebilde, das kein Innen und kein Außen kennt, kein Vorne und kein Hinten, sondern nur eine durchgehende Oberfläche, wo jeder Punkt zugleich Anfang und Ende ist. Grob vereinfacht, erzählt „Lost Highway“ die Geschichte des Jazzmusikers Fred, der zum Tode verurteilt wird, da auf einem Videoband zu sehen ist, dass er seine Frau Renee tötet. In seiner Zelle erleidet er einen Anfall und verwandelt sich in den jungen Automechaniker Pete. Dieser muss freigelassen werden, da er offensichtlich nicht der Verurteilte ist, wird aber fortan von zwei Detektiven beschattet und verstrickt sich in weitere mörderische Abenteuer. Am Ende fährt er zu seinem Haus, wo er klingelt und in die Sprechanlage sagt: „Dick Laurent is dead.“ Dies waren auch die ersten Worte, die Fred zu Beginn des Lynch-Films hört – die Geschichte könnte also von neuem ihren Lauf nehmen.

Immer wieder greift jener Mystery Man in die Handlung ein, eine mephistophelische Figur. Ob der Mystery Man so etwas wie die organisierende Mitte des Films ist – die Tatsache, dass er in einigen Szenen eine Kamera in Händen hält, lässt diese Vermutung zu – oder eine Halluzination des schizophrenen Fred, ist nur eines der vielen Rätsel, die den Titel des Films zum Programm machen: Nicht nur die Protagonisten, auch der Zuschauer verliert sich auf dem Weg durch dieses Labyrinth.

Olga Neuwirth ließ sich von dieser radikalen Abrechnung mit geradlinigen Erzählmustern faszinieren und machte sich mit ihrer Komposition auf die Suche nach der „Naht“, die Reales und Irreales zusammenhält. Vom ersten Moment an ist der Zuschauer gefangen von ihrer Musik, die konsequent elektronische und instrumentale Klänge kreuzt. Auch die Stile vermischen sich: Technobässe wummern gegen brasilianische Rhythmen, eine Slidegitarre holt den Mittleren Westen auf die Bühne, Big Bands marschieren durch den Orchestergraben, und auch den Schmalztopf hat Neuwirth zur Hand, wenn die Handlung es erfordert – doch nie ohne einen düsteren Klangteppich, der das Stück vom ersten bis zum letzten Takt durchwebt und den Zuhörer keine Sekunde zur Ruhe kommen lässt. Die musikalische Leitung des Abends liegt in den Händen von Johannes Kalitzke, das Klangforum Wien und das Grazer Institut für Elektronische Musik und Akustik sind die umjubelten Ensembles des Abends.

Gesungen wird wenig. Der naive Pete (Georg Nigl) verleiht seinem hilflosen Sehnen mit lyrischen Koloraturstoßseufzern Ausdruck, der Mystery Man (Andrew Watts) scheint im klaren Falsett mit unsichtbaren Chören der Verlorenen zu kommunizieren, und Fred ringt bis zur letzten Sekunde damit, überhaupt einen Ton herauszubekommen. Scheitert er am Ende an seiner eigenen Sprachlosigkeit? In ihrer Nacherzählung folgen Jelinek und Neuwirth dem Handlungsablauf des Films, die größtenteils unverändert übernommenen Dialoge sind in englischer Sprache gehalten. Ein Blick in das Libretto zeigt, dass die Verfasserinnen auch für die szenische Realisierung sehr konkrete Vorstellungen hatten. Zur Bühnenbildkonzeption, Lichtdramaturgie und Videosequenzen haben Jelinek und Neuwirth exakte Anweisungen gegeben, und man ist überrascht, so wenige dieser Ideen auf der Bühne verwirklicht zu sehen. Jens Kilians Bühnenbild ist eine in sich verschachtelte Black Box, und während Neuwirth sich in der szenischen Umsetzung radikal die Gegenüberstellung realer und virtueller Räume vorstellte, wollte Regisseur Joachim Schlömer dem Problem der Übersetzung des Films auf die Bühne begegnen, indem er sich „auf die fein gestalteten Spiel- und Sprachebenen“ konzentrierte.

Genau das freilich gelingt ihm nicht. Viel zu selten geht die Inszenierung über das Nachspielen diverser Filmszenen hinaus und erinnert dadurch permanent daran, was auf der Bühne im Vergleich zum Film alles nicht möglich ist. Interessanterweise aber hat das Stück seine stärksten Momente, wenn es sich am weitesten von der filmischen Vorlage entfernt. Vielleicht sind dies die Momente, in denen Schlömer Choreograf sein konnte: Das Detektivduo, das Pete verfolgt (Grayson Millwood/Rodolfo Seas-Araya) vollführt hier grandiosen Slapstick, und mit Hilfe von Doppelgängern der Darsteller, die an mehreren Stellen im Raum zugleich zu sein scheinen, kreiert Schlömer teilweise Bilder von großer Spannung. Die einzige wirklich neu geschriebene Szene zeigt die Brutalität Mr. Eddies, indem dieser einen Raucher (!) verbal verprügelt. David Moss, der an diesem Abend auch den Begriff der Sterbearie erweitert, beschimpft unter virtuosem Wechsel zwischen tiefem Bellen und überschnappendem Falsett Gavin Weber, der, wie von Geisterhand verdroschen, durch den Bühnenraum getrieben wird. Hier finden Musik und Regie kongenial zusammen.

Lynchs Ko-Autor Barry Gifford, der sich im Gegensatz zu Elfriede Jelinek die Premiere nicht entgehen ließ, gab in einem Interview zum Film einmal einen Hinweis: „Jede Erklärung muss unzureichend bleiben, weil man einen Film sehen muss.“ Dasselbe gilt fürs Theater. Und vielleicht ist es ja auch ein Zeichen der besonderen Qualität von Olga Neuwirths Musik, dass es immer noch aufregender ist, sie zu hören, als sie in Szene gesetzt zu sehen.

Wieder vom 6. bis 8. November 2003, Helmut-List-Halle, Graz. Weitere Aufführungen sind am Theater Basel geplant.

Eine Aufnahme der Uraufführung von Olga Neuwirths und Elfriede Jelineks Erfolgsoper „Bählamms Fest“ ist in diesem Jahr als Doppel-CD bei Kairos erschienen.

Patrick Hahn

erschienen in:
Der Tagesspiegel Berlin, 4.11.2003