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Selbstverlorene Monaden im Tanz
Film als virtuos musikalisiertes Körpertheater: Olga Neuwirths David-Lynch-Oper "Lost Highway" in Graz uraufgeführt.


Nie waren auf der Bühne Oper und Film einander so nah wie in Olga Neuwirths Lost Highway. Die Adaptation des David-Lynch-Sujets hatte jetzt ihre spektakuläre Uraufführung anlässlich des Steirischen Herbstes in der "Kulturhauptstadt" Graz, wo in der Tat dieses Jahr eine fast kompendiöse Novitätengalerie österreichischer Musiktheater-Komponisten (Furrer, Lang, Mitterer) annonciert ist. Aus diesem Gruppenbild sticht die 35-jährige Steirerin Olga Neuwirth (bereits als Schülerin fiel sie mit ihrer Begabung dem Talentsucher H.W. Henze auf) als sperrige (gleichwohl schon erfolgverwöhnte) "Dame" mit einer ebenso ruppigen wie subtil-intelligenten, jedenfalls durchschlagenden Musikalität hervor.
Lost Highway gehört, wie Blue Velvet und Mullholland Drive, zu den besonders "typischen" Filmen des Hollywood-Außenseiters, in denen Allerweltsfiguren und eine kulissenhafte Alltagsrealität in einen mysteriösen Strudel gerissen werden, in dem alles sich tendenziell auflöst und vertauscht: Schauplätze, personale Identitäten, Schein und Wirklichkeit, Tod und Leben. Hitchcock, mit der surrealen Akribie Eschers verwirbelt, zur absurden Parabel totaler Existenz-Verunsicherung geschärft. Eine kafkaeske Welt der Angst und Drohung, in deren Geschiebe von Handlungsfragmenten kaum noch Fixpunkte (etwa die Autorität eines Schlosses oder eine prozessführenden Instanz) sichtbar werden (und wenn, dann eher als groteske Versatzstücke), sondern ein Klima der Vereinsamung und Kälte herrscht - weniger als Subjektgefühl, mehr als allgemeiner Aggregatzustand, der sich wie ein Netz über die verflüssigten, pulverisierten Individualitätsreste breitet.
David Lynchs Lost Highway, mit geringem Personal meist in Innenräumen gedreht, erweckt den Anschein eines Low-Budget-Produkts, ist aber von einer detailbesessenen Perfektion angetrieben, die noch das Unscheinbarste mit ungeheurer Rätselbedeutung auflädt. Die Glätte der schlackenlosen, "zufällige" Wirklichkeitspartikel ausmerzenden Machart ist zugleich Siegel einer brutalen Realität. Der Hollywood''sche Illusionscharakter im Zustand vollendeter De(kon)struktion.

Klangkontinuum mit Klarinette
Ein wichtiges Perfektionsmerkmal ist Lynchs Umgang mit den akustischen Korrelaten zu seinen Bildern, wobei jeder naive "Realismus" getilgt und ein allgegenwärtiger "Soundscape"-Geräuschpegel geschaffen wird, der, gleichsam als permanente Tinnitus-Obsession, zu einem die Bedrohlichkeit wachhaltenden Motor des Filmgeschehens avanciert. Hier setzt Olga Neuwirth an. Sie versenkt sich mit Empathie in die Filmdramaturgie und -poetik Lynchs hinein und gewinnt gerade dadurch musiktheatralische Originalität und Eigengewichtigkeit.
Auch bei Neuwirth gibt es mithin das elektronische Soundscape-Kontinuum, aus dem heraus dann freilich gesteigerte Klangenergien hervorwachsen, die sich bis zu exzessiven, katastrophischen Ballungen aufbäumen. Das Instrumentarium eines mittelstark (und überwiegend unkonventionell) besetzten Orchesters wird so zum Tönen gebracht, dass es wie die Vergrößerung eines einheitlichen, vielfach im Geräuschartigen haftenden akustischen Stromes wirkt. Also ist auch die "Individualität" einzelner Klangquellen weitgehend gelöscht, und wenn das ausnahmsweise nicht geschieht wie in einer tropfenden Bassklarinetten-Passage à la Wozzeck, so fällt das fast als Fremdkörper aus dem Zusammenhang heraus. Wiederum versicherte sich die Komponistin (wie in ihrer Leonora-Carrington-Oper Bählamms Fest, 1999) der Mithilfe von Elfriede Jelinek, die das Libretto äußerst behutsam und gewissermaßen selbstlos so einrichtete, dass das spezifische Lynch-Kolorit unbeschädigt erhalten blieb. Der Eingangssatz "Dick Laurent is dead" wird zum Sesam-öffne-Dich einer tödlichen Scharade von oft nur sekundenhaften Miniszenen. Der Satz kehrt am Schluss wieder, aber er "rundet" nichts ab, mutet vielmehr als scheinhafter Schlusspunkt einer quasi seriell oder popartistisch funktionierenden Abfolge formaler Segmente an. Der (englische) Text wird zunächst überwiegend gesprochen, erst allmählich mehr und mehr in Gesang überführt, wobei Ensembleformationen mehrfach aus dem Off als anonymisiertes Stimmengewebe analog zum elektronisch-instrumentalen Soundteppich hinzutreten.

Obszön, schamlos und diskret
Die Uraufführungsregie von Joachim Schlömer entsprach dem Perfektionsanspruch des Sujets in allen Punkten kongenial. Keine Spur mehr von opernsängerischer Unberatenheit, vielmehr eine streng durchorganisierte körpersprachliche Belebung der elf beteiligten Akteure, die zum Teil zu verblüffenden akrobatischen Demonstrationen animiert wurden. Mit staunenswert diskreter Schamlosigkeit arrangierte Schlömer einige Sexszenen, deren blendende Obszönität gerade aus dem völligen Gegensatz zu pornographischer Krudheit resultierte.
Dazu schrieb Neuwirth eine auf neuartige Weise erotisiert wuselnde, wispernde, hechelnde, züngelnde Musik, die, galaxienweit von der schwelgerischen Rosenkavalier-Erotik entfernt, dieser doch an nervös flackernder und flammender Lüsternheit in nichts nachsteht. (Eine weitere Sexsequenz mit madrigalesker Vokalität "im alten Stil" machte einen anekdotisch-schwächlicheren Eindruck). In der für ungewöhnliche Projekte reservierten Grazer Helmut-List-Halle baute Jens Kilian eine vexierbildhafte Bühne mit vielerlei verschachtelten Räumen, die, im Unterschied zum Film, auch etliche simultane Auftritte evozierten. Faszinierend "gegen den Strich" inszeniert das Partygedränge in einem schmalen Schacht, die Personen aneinander und an den Wänden klebend umso paradox sinnfälliger als selbstverlorene Monaden. Virtuos nutzte Schlömer den niedrig gestelzten Bühnenboden dazu, einige Darsteller immer wieder auf Schlitten darunter vor- und zurückzufahren.
Von den Sängerdarstellern imponierte besonders Constance Haumann mit körperlicher und stimmlicher Wucht in ihrer Doppelrolle als Renée/Alice. Mit unerschütterlicher Kompetenz beteiligte sich das Klangforum Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke. Der zur Oper mutierte Film (Film- und Diaeinblendungen ergänzten die Bühne wohltuend sparsam) zeigte sich in der intelligent-inspirierten Arbeit Olga Neuwirths auch als ein vielversprechender Weg zu neuen musiktheatralischen Ufern.

Hans-Klaus Jungheinrich

erschienen in:
Frankfurter Rundschau, 4.11.2003   http://www.fr-aktuell.de