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Gunter im Wunderland
Die Normalität haust anderswo: Uraufführung von Händl Klaus beim "steirischen herbst" in Graz


Die fortlaufenden Nummern auf den zweireihigen Schließfächern könnten auch Jahreszahlen sein. Links oben fängt es an mit der 1891, rechts unten ist man dann bei 1948 angelangt. Die Eckdaten eines Lebens könnten das sein, eines Daseins, das zwei Kriege erlebt hat und das kurz nach dem zweiten zu Ende ging. Doch vielleicht bezeichnen die Zahlen in Muriel Gerstners verwinkeltem Bühnenbild auch nur den fortlaufenden Wahnsinn von nie enden wollenden Bahnhofsschließfächern. Das Prinzip verwirrender Unendlichkeit. Der Reisende, auf eine Nummer reduziert. So genau wird man es bis kurz vor Ende dieses Abends nicht erfahren.

Händl Klaus, der Dramatiker, der hinter diesem Grazer Uraufführungsabend steckt, der noch ziemlich junge (geb. 1969) und sehr jungenhafte Tiroler, den man abseits einschlägiger Film- und Bühnenkreise zu Unrecht noch nicht wirklich kennt, der aus seinem Namen einen Kunstnamen bastelte, indem er ihn einfach auf den Kopf stellte, dieser Händl Klaus, er liebt das Rätsel. Nicht aber dessen Auflösung. Die muss an diesem Abend mit dem - klarerweise - recht rätselhaften Titel Wilde - Der Mann mit den traurigen Augen ein anderer besorgen. Vor zwei Jahren, auch beim steirischen herbst, als der bis dahin nur mit einem schmalen Prosaband Bekannte (Legenden) seinen Einstand als Dramatiker gab, da hatte man sich einen solchen Rätsellöser noch herbeigewünscht. "Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen" - so der Händl'sche Titel des damaligen Stücks -, entschwirrte in die Mehrdeutigkeit, die eine Zu-viel-Deutigkeit war. Doch die Intendanz des alljährlichen steirischen Festivals, das sich über die Jahrzehnte vom Avantgardefest zum Festival mit Entdeckungsdrang abseits starrer Etikettierungen gewandelt hat, hielt dankenswerterweise an ihrem Autor fest und beauftragte ihn gemeinsam mit dem schauspielhannover mit einem neuen Rätselstück.

Dessen Protagonist, der fabelhafte Bruno Cathomas, trägt einen schlechtsitzenden grauen Anzug samt Hut, hört auf einen zu ihm passenden Namen (Gunter aus Bleibach) und würde unter normalen Umständen einen Vertreterbesuch ausüben.

Doch die Normalität haust bei Händl Klaus bekanntlich anderswo, weswegen Gunter ein Arzt (ohne Grenzen) auf der Durchreise ist, der auf seinem Weg von Moldawien nach Hause zu früh aus dem Zug aussteigt: Gunter im Wunderland. Nur der weiße Hoppelhase fehlt. Dafür gibt es allerdings zwei ziemlich eigenartige Zwillingsbrüder im blassrot karierten Kleidchen (Tim Porath und Peter Knaack), die sich die Worte wie Ping-Ping-Bälle zuwerfen, es gibt einen Vater, der zum Spiegelbild Gunters mutiert, es gibt eine Schwester im Hochzeitskleid und es gibt eine tote Katze. Nur Gunters Pass gibt es bald nicht mehr, der ist einfach verschwunden.

Im Nichts aufgelöst: Genau so wie die Restbevölkerung des unter einem Hitzeschock stehenden Ortes, in dem weder die Strom- noch die Wasserversorgung funktioniert und die Uhren einfach stehen bleiben. Es ist das labyrinthhafte, mehrbödige, aus Falltüren und Sackgassen bestehende Haus ur des deutschen Künstlers Gregor Schneider (das vor zwei Jahren deutscher Beitrag der Kunstbiennale in Venedig war), das Händl Klaus zu seinem Stück inspirierte. Eine Architektur, in der man wie ein Archäologe in verborgene Winkel, vergessene Zimmer und aus dem Lot geratene Flure vordringt. Freud hat seine Psychoanalyse besonders gerne mit Bildern aus der Archäologie verdeutlicht; im Falle Gregor Schneiders ist die Architektur als Archäologie zur Metapher geronnen. Händl Klaus geht einen ähnlichen Weg: Gunters Aufenthalt in Neumünster an der Lau, so der Name des verwünschten Ortes, wird zur soghaften Reise in ein Labyrinth, das sowohl ein Labyrinth der Seele als auch der Geschichte ist.

Letzteres behauptet zumindest der überaus geschickte Rätsellöser dieses Abends, Regisseur Sebastian Nübling. Während Händl Klaus mit seiner durchrhythmisierten Sprache vieles in der Schwebe lässt, verpasst Nübling dem Stück nach und nach einen Referenzrahmen - ohne es allerdings zu kanalisieren. Er legt Spuren und verwischt sie (der Koffer, die Unterhosen, der Urin, die Braut), spielt mit Doppelungen und Andeutungen und erschafft so eine Atmosphäre irgendwo zwischen Kafka und Bataille. Klaustrophobisch, sexualisiert, ironisch, und immer mit einer Formsicherheit, die entzückt.

Erst dann, wenn man glaubt, dass das Stück in der Schleife des Surrealen gefangen bleibt, gerinnen die Bilder zu Flashs einer monströsen Familienharmonie, in deren Mitte ein zerknitterter Gunter den verzweifelten Aufstand des Ahnungslosen probt. Gunter, ein Nibelunge im Feuer der Geschichte: Aus dem kleinen Nachkriegs-Kofferradio tönt das Horst-Wessel-Lied und mit einem Mal sind die Reihen fest geschlossen.

Die Reise in die Tiefe der Provinz, in die Tiefe der Seele, endet mit der Auferstehung des Verdrängten. Die Zahlen auf den Schließfächern blitzen plötzlich in einem vollkommen anderen Licht - und Händl Klaus' Stück bekommt eine historische Tiefenschärfe, die keine Festlegung, aber eine brillante Lesart ist.

Graz. Noch bis 28. September im Orpheum in, ab 10. Oktober am schauspielhannover.

Stephan Hilpold

erschienen in:
Frankfurter Rundschau, 22.09.2003