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Wenn Musik in die Repetitionsmühlen gerät
Im choreografierten Prozess: „Das Theater der Wiederholungen“ von Bernhard Lang in Graz uraufgeführt  


Die Kulturhauptstadt Graz schickt sich an, Musiktheater neu zu denken. Das war schon Anfang des Jahres mit Beat Furrers statisch suggestivem Orpheus-Stück „Begehren“ so, setzte sich mit der choreografischen Installation „insideout“ (Rebecca Saunders/Sasha Waltz) fort und fand nun mit „Das Theater der Wiederholungen“ des 1957 in Linz geborenen Bernhard Lang erneut Bestätigung. Wieder einmal verweist Lang, hier schon direkt im Titel, auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze, der ihn, zusammen mit einer parallelen Erfahrung gewisser Filmmontagetechniken, seit zehn Jahren nicht mehr los lässt. Nie freilich hat er bislang, in einer schon ausufernden Werkkette, so vielschichtig über den Begriff Wiederholung nachgedacht. Von der Makro- bis in die letzte Mikrostruktur, von der Musik über die Bewegung bis hin zur Sprache und zum Erzählten.

Lang fragt sich, was musikalisch geschieht, wenn Partikel eines musikalischen Ablaufs plötzlich, fast wie stotternd oder wie ein Hänger im Videofilm, in eine Wiederholungsmühle geraten. Eine Sequenz, vielleicht etwas ganz Unbedeutendes wie ein Auftakt oder der Atemansatz eines Bläsers, verselbstständigt sich und rückt ganz unmittelbar in den Mittelpunkt. Bei Denkprozessen im Hirn mögen sich manchmal ähnliche Prozesse abspielen: Jemand erzählt etwas, redet weiter, das Denken aber bleibt bei einem gewissen Begriff hängen, repetiert ihn auf paralleler Zeitebene.

Es wäre ein interessanter Versuch, Langs Musik von diesen Wiederholungsmechanismen zu befreien und das kohärente, gleichzeitig aber um sein Wesen gebrachte Stück zu vernehmen. Aber gerade diese Stillstand- und Stotterstellen sind das Eigentliche. Sie rauben den Ausführenden ihre Subjektivität, denn es scheint so, dass zum Subjektbegriff ein kohärenter Zeitablauf gehört. Die Wiederholung macht sie zum mechanisierten Klapperwerk, Vervielfältigung zerstört das Individuum.

Wiederholung aber auch im Großen – hier korrespondiert Lang direkter als bisher mit Deleuze –, im geschichtlichen Rahmen. So ist die Erzählstruktur des Stückes als Theater der Grausamkeiten angelegt. Lang greift zurück auf Marquis de Sades Schlosserzählung mit Folter, Trieb- und Blutlust, letztendlich konsequenter Auslöschung der Protagonisten. Im zweiten Teil kommt die literarische Pop-Ikone William Burroughs zu Wort, mit ihm ein Amerika der Waffen und ihres spielerisch-zynischen Einsatzes.

Im dritten Teil zieht Lang Augenzeugenberichte und Prozessakten zu Auschwitz heran. Wenn de Sade sagt: „Ich bleibe dabei, dass es Unglückliche auf der Welt geben muss“, als Naturgesetz, dann mag man sich mit humanistischem Widerstand dagegen wehren, die Geschichte bestätigt es unbarmherzig. Wiederholung aber geht, so beschreibt Deleuze, im geschichtlichen Prozess einher mit Differenzierung. Das Gleiche ist nicht das Gleiche, sondern geht zwangsläufig einher mit anderer Gewandung, anderem Aussehen. Auschwitz ist nicht de Sade, ein Waffenamoklauf ist nicht Burroughs.

Das ist vielleicht das Stärkste an Langs „Theater der Wiederholungen“. Dreimal läuft Musik ab, jeweils siebenteilig, jeweils mit deutlichen, formalen und inhaltlichen Entsprechungen (oder Deckungsgleichheiten), jede aber kommt mit anderer klanglicher Außenseite daher. Die Musik ist wie ein Chamäleon, sie schlüpft in französische Diskretion, wandelt sich zum Hardcore-Gestus eines widerständigen, amerikanischen Pop-Undergrounds, nimmt schließlich streiflichtartig Klangassoziationen zwischen spätromantisch-deutschem Pathos und Militärkapelle auf. Der Sound macht die jeweilige geschichtliche Umgebung kenntlich, die Struktur aber spult sich wie ein ehernes, unabänderliches Gesetz ab. Die Regie (Xavier LeRoy) geht damit in Deckungsgleichheit.

Das ist eine zweite wichtige Erfahrung: Musiktheater heute geht in Konfrontation zu dem zur Konvention erstarrten Gestus des Brechens, wo das Visuelle dem zu Hörenden in die Parade fällt. Man zieht an einem Strang, man sagt das Nämliche akustisch wie visuell (also doch wieder ganz anders!) und verdoppelt damit die Kraft. LeRoy, er hatte im Grunde ohne Szene auszukommen, entwickelte eine Palette von Bewegungsabläufen (Musiker, Sänger, Tänzer), die sich in ihren lapidaren Bewegungsabläufen (Umblättern der Notenseiten, das Geben von Zeichen, Abtreten usw.) abstoppen und sie vom Ausgangspunkt wieder aufnehmen. Spannende Korrelationen entstanden, denn ein wiederholtes musikalisches Motiv, auch wenn es aus dem Sinnzusammenhang gerissen ist, ist etwas ganz anderes als ein wiederholtes Sprachpartikel – und wieder etwas anderes, wenn eine begonnene Bewegung neu von null anfängt.

LeRoy schuf eine Choreografie widersinniger, ins Leere laufender Bewegung – ein ins Zeitliche versetztes Spiegelkabinett, das dann noch in der Verdoppelung des Dirigenten (Johannes Kalitzke) mündete. Das Double dirigierte zunächst eine Bandwiedergabe, am Schluss, deckungsgleich Rücken an Rücken zu Kalitzke, das Publikum, während dieser die Auschwitz-Erzählung konturiert. Auschwitz, das sind wir alle. Der Spiegel der Wiederholung machte das ebenso trivial wie beklemmend deutlich. Dass die Ausführenden, durch blonde Perücken gedoppelte Wesen (Klangforum Wien, Solosänger, das Gesangsensemble „le jeunes solistes“), hierbei Außerordentliches zu leisten hatten, versteht sich fast von selbst. Es war ein choreografierter Prozess, immer im Widerstand zum individuellen Voran-Wollen der Gesten, der musikalischen Motive. So wird Theater nicht gemacht, Musik nicht gespielt. Und gerade darum greift es. Ob freilich die Tragweite von Auschwitz damit zu fassen ist (wer überhaupt könnte dies?), bleibt dahingestellt. Fatal verkündete Langs „Theater der Wiederholungen“ ein nächstes Mal.

Reinhard Schulz

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung, 15. 10. 2003