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Wo sich die wilden Kerle lohnen
Steirischer Herbst: Klaus Händls „(wilde) – der mann mit den traurigen augen“ uraufgeführt


Dem Alter nach steht der Mann kurz vor einer Midlife-Krise. Sein Drei-Tage-Bart ist vermutlich schon fünf Tage alt, und sein grauer Hut hat mit Mode nichts zu tun. Der Mann, der einen Koffer trägt, scheint unter einem klassischen Problem seines Lebensabschnitts zu leiden. Es sieht ganz so aus, als wisse er nicht, ob er noch auf der Suche ist oder schon auf der Flucht. Jedenfalls läuft der Mann zwischen Wänden aus fahlgrünen Schließfächern, die im kalten Licht an die Kühlboxen der Anatomie erinnern und mit Jahreszahlen beschriftet sind, im Kreis. Hinter diesen Blechbüchsen ist kein Bahnhof mehr zu vermuten, und alle Menschen scheinen verreist zu sein.

Dann tauchen doch zwei junge Männer auf, zwei Brüder. Sie tragen hellrote Kleider, ein Duo infernal, der letzte Rest vom Chor aus dem Stadttheater von damals, als es noch einen Bahnhof gab in Neumünster an der Lau. Hier spielt das Ganze, ein paar Stationen vor Bleibach, wo der Mann mit dem Koffer herstammt, der Gunter Ladurner heißt und in Neumünster in die Fänge der Flick-Brüder gerät. Zwei falsche Girlies, die mit der Alternativlosigkeit des Wahnsinns penetrant Neumünsteraner spielen, obwohl es vielleicht auch Neumünster schon nicht mehr gibt; von Bleibach und Gunters Eltern, die er sucht, gar nicht zu reden. Die Welt ist nur noch a nackerte Kugel im neuen Stück des österreichischen Dichters Händl Klaus.

„(wilde) – der mann mit den traurigen augen“ wurde als Koproduktion des Festivals „steirischer herbst“ mit dem Schauspiel Hannover im Grazer Orpheum uraufgeführt. In Regisseur Sebastian Nübling, dessen Bühnenbildnerin Muriel Gerstner und dem Komponisten Lars Wittershagen hat Klaus Händl kongeniale Mitarbeiter gefunden. Sie versuchen, dem Text nicht auf die Beine zu helfen, sie lassen ihn auch nicht davonfliegen. Frei schwebt er über der Wüste von Neumünster. Eine Welt, von der nur Klänge, Bilder und Fakes übrig geblieben sind.

An einem kleinen Tisch sitzen sich Gunter (Bruno Cathomas) und Hedy (Simone Henn) gegenüber. Sie trägt ein Brautkleid und hält eine Teetasse in der Hand. Dass die Tasse leer ist, weil es kein Wasser mehr gibt, belegen ihre trotzigen, Luft einsaugenden Schlurfgeräusche. Gunter schüttet die Teekanne über seinem Kopf aus. Sand rinnt ihm ins Gesicht und bleibt kleben. Unbeirrt spielen beide weiter. Tea-Time in Neumünster.

Familien-Götzen in Öl

Dann spielen sie auf dem Couchtisch Tischtennis. Hedy spuckt den Ball aus, und es geht zur Sache. Resteverwertung. Ein letzter Ball, ein letzter Tisch, Aufschlag, Seitenwechsel . . . Für den Arzt ohne Grenzen gibt es kein Entkommen. Am Ende werden Wahn und Obsession zum Ultimatum und Neumünster zur Projektion der letzten Durchgeknallten. Traurig schaut der Mann mit dem Koffer auf die Szene.

Die letzte Rettung der Zivilisten sind die Wilden. Die Flick-Brüder tragen jetzt Männerkleider und Lederschürzen, rauben Supermärkte aus und jagen Katzen. Die Wahrheit über Neumünster nach dessen Untergang: Sammler und Jäger. In einem leeren Korb singt Hedy ihr ungeborenes Kind in den Schlaf: „Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen . . .“ Sie bauen sich auf für Familienfotos und träumen von Grillabenden an der Lau. Vom Leben aber bleiben nur Bilder. In Nüblings Inszenierung sind es Fotos. Im Stücktext heißt Gunters letzter Satz: „Ja. Ich liebe ja, die Malerei.“ Und gerne auch die Flick-Brüder, aber bitte in Öl.

Vor zwei Jahren wurde Klaus Händls Stück „Ersehne die Alpen. So entstehen die Seen“ als zu untheatralisch und monolithisch empfunden. Das insistierende Interesse der Festival-Leitung hat Händl nun als erfolgreichen Dramen-Dichter vorgestellt. Sebastian Nüblings Inszenierung ist ein Albtraum von Neumünster, aber ein wunderbarer Tagtraum vom Theater.

Nicht ohne Neumünsteraner Brutalitäten. Gunter versucht, die lungenkranke Hedy mit dem Messer zu kurieren. Er sticht nicht zum ersten Mal in seiner Arztlaufbahn daneben. Gunter verwandelt Hedy in eine Blutpumpe. Rote Flecken auf den fahlgrünen Kofferkästen, Spuren von Leben im totgesagten Bahnhof. Aber trotz Kunstfehlern überlebt Fräulein Flick als Model für die Bilder einer in der Lau versunkenen Welt.

Klaus Händl wird nun wieder die Züge besteigen, in denen er auch nachts schreibt – und nirgendwo ankommen. Auch er fährt immer nach Bleibach und hofft, Fotos und Gemälde vorzufinden, statt unserer angeblichen zivilisierten Welt, ein Stück Kultur. Bisher hat man ihn nur mit Preisen bedacht. Jetzt hat er einen Regisseur gefunden. Der Grazer Erfolg sollte Grund genug sein, das Stück nachzuspielen. Es gehört zu den besten dieser Saison.

Helmut Schödel

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung, 23.09.2003