pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
Die Suche ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.
Der Newsletter ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.

<<  zurück

Das Ballett der Körperteile
Bravo! Buh! Gnade! Sasha Waltz choreographiert in Graz "insideout"


Eins zu Null für den Untertitel: "Eine choreografische Installation" schlägt "insideout" mühelos an Klarheit. Sasha Waltz, Tanzmeisterin der Schaubühne am Lehniner Platz, hat sich einen lang gehegten interdisziplinären Wunsch erfüllt. Bei der erhofften Versöhnung von Wissenschaft und mehreren Künste halfen ihr Europas diesjährige Kulturhauptstadt Graz und der "steirische herbst". Ohne Zweifel ist ein Avantgarde-Festival der rechte Ort für diese aufwendige Produktion, die dann am 9. Oktober ihre naturgemäß bejubelte Berlin-Premiere haben wird.
Gründlicher wurde kaum je ein Tanztheater-Projekt vorbereitet. Ein ganzes Buch füllt der theoretische Überbau: biografische Gespräche mit den Tänzern, verschnitten mit einer Intellektuellenblütenlese von Baudrillard bis Bourdieu Es geht wieder einmal um Identitäten im Zeitalter der Globalisierung. Das ideale Forschungsfeld dafür liefert Sasha Waltz" eigene multinationale Truppe, deren Mitglieder aus aller Herren Ländern stammen. Dieser hochgelehrte Diskurs über Familienhintergründe, Künstlerschicksale, Wertewandel und Statussymbole lässt sich indes auch poetisch ein wenig verknappt ausdrücken. Mit einem einzigen - im Programmheft abgedruckten - Vers von T. S. Eliot: "Home is where we start from."
Bei Vorstellungsbeginn vergisst man all das am besten. Die Kräfte werden für anderes benötigt. Denn hier muss das Publikum für sein Geld was tun: Es wandert von Koje zu Koje, blickt durch Schlitze oder Schaufenster, steigt treppauf treppab. Kurzum: Die Premiere wird zur Vernissage, einen Laufkilometer schafft der rührige Besucher leicht.
Etwa 20 Räumlichkeiten haben Sasha Waltz und ihr Bühnenbildner Thomas Schenk in der riesigen Helmut-List-Halle errichtet, ein buchstäbliches Kunst-Dorf samt metallischem Kühlcontainer (wer jetzt nicht krank wird, wird es nimmermehr). Während englische Verbote über Lautsprecher ertönen (No Smoking! No Undressing! No Dancing!), liegen die meisten Tänzerinnen und Tänzern malerisch hingegossen in ihren Kämmerchen auf dem Boden. Sie scheinen zu schlafen, vielleicht auch zu träumen.
Bald werden sie zu gespenstischem Leben erwachen. Dafür sorgt schon die Musik der englischen Komponistin Rebecca Saunders. Gottlob verlagert sich die Geräuschkulisse vom arg strapazierten Bösendorfer-Flügel rasch auf die minder empfindlichen Instrumente des Schlagzeugs. Der Eindruck der ersten halben Stunde: eine Schmockerei der Sonderklasse. Einzig und allein der seltsam Vermummte mit Stöckchen - von Kopf bis Fuß in Hahnentritt - vermag zu interessieren. Ein Mann? Eine Frau? Ein Zwitter? Stöckelschuh oder doch vielleicht Pferdefuß? Kein Zweifel: Sasha Waltz hat diesen Abend weniger choreographiert als phantasmagoriert.
Unter solcher Voraussetzung ist Genuss durchaus möglich. Das Rezept: sich dem wohlkalkulierten, präzise getimten Chaos einfach anvertrauen. Zur Belohnung gibt's delikate Bildhäppchen, lauter Rätselanekdoten nach dem Motto: Alles Kindische ist nur ein Gleichnis. Wundersam das Ballett der fragmentierten Körperteile - ob Hände, Nasen oder Lippen - in Wandfensterchen. Faszinierend einige lebende Skulpturen und eine Generationengeschichte in der Vitrine - die Figuren verwandeln sich schließlich in possierliche Pappkameraden. Sehr witzig später auch der kollektive ungeordnete Kostümtausch: Der Traum der Mode gebiert bekanntlich Monster. Zwar heißt es, man könne sich das Gelände beliebig erwandern, aber eine Art Markplatz in der Mitte bildet die legitime Hauptspielstätte.
Von dort bietet sich auch der beste Blick auf die Glaskäfige, in der unsere Konsumwelt hübsch parodiert und dem gesellschaftskritischen Grundkonsens Genüge getan wird. Nach 100 Minuten "insideout" scheint das Ziel erreicht: Die Erschöpfung ist einem ermatteten Glücksgefühl gewichen. Starker Beifall. Wer freilich genauer hinhört, der meint, einen seltsamen Dreiklang zu vernehmen: ein lautes "Bravo", ein leises "Buh" und - ein wimmerndes "Gnade".

Termine 20./21., 24.-26. 9; Karten: (0043-316) 81 60 70

Ulrich Weinzierl

erschienen in:
Die Welt, 20.09.2003   http://www.welt.de/data/2003/09/20/170862.html?s=2