pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
Die Suche ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.
Der Newsletter ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.

<<  zurück

Urknall einer neuen Musik
Vom Film zur Oper: Olga Neuwirths uraufgeführte Komposition "Lost Highway" verwandelt David Lynchs Thriller zum turbulenten Trip


Im Kino metzelt wieder Quentin Tarantino; der nicht minder blutrünstige Kollege David Lynch hat es jetzt sogar auf die Opernbühne geschafft. Sein "Lost Highway" führt gradewegs nach Graz, wo die österreichische Star-Komponistin Olga Neuwirth, ein Grazer Kind, den nachtschwarzen, blutroten Kinofilm in faszinierende Musik gegossen hat.

Der Ort: egal. Die Figuren: ein Rätsel. Der Inhalt: verdammt kompliziert. Sicher ist nur: Das Ding hat alles, was eine gute Oper braucht. Mord und Totschlag, seltsame Verwandlungen, verrückte Alpträume. Mysteriöse Monster. Tote Briefkästen. Bonny und Clyde, ein Roadmovie. Und weil Olga Neuwirth das Libretto zusammen mit der österreichischen Nationaldichterin Elfriede Jelinek geschrieben hat, erbebt die Heinrich-List-Halle unter stark erhöhter Beischlaffrequenz. Jelineks Gedankenlabyrinthe - das ist keine Überraschung - finden selten zum Ende, kommen aber garantiert immer zum Höhepunkt. "Lost Highway" ist auch eine Pornogeschichte, aber Regisseur Joachim Schlömer interessiert sich nicht sonderlich dafür.

"Lost Highway", eine Oper? Der Text bleibt englisch, und bis auf wenige markante Ausnahmen sprechen ihn die Darsteller. Ihre Stimmen dringen aus Lautsprechern, das heißt, sie kommen aus dem Nichts, von irgendwo. Eine Gespenstersonate in Jens Kilians schwarzer Multifunktionsbühne: Haus und doch nicht Haus. Überall und nirgends.

Anders als im Musical ist die elektronische Verstärkung nicht Notlösung, sondern gezieltes Zitat filmischer Mittel: Olga Neuwirths Musiktheater drängelt aus der Wirklichkeit der Leinwand in die Realität ihrer eigenen Musik; eine Traumwelt, die Dirigent Johannes Kalitzke mit dem Klangforum Wien ungeheuer packend erschafft. Und von den Soundspezialisten des Grazer Instituts für Elektronische Musik, mit trickreichen Live-Effekten angereichert, durch den Raum gepeitscht wird.

Im Kino ist Surround-Technik längst Standard, die Musikszene entdeckt die Möglichkeiten erst allmählich für sich. Und kämpft gegen die Tücken der Akustik. Auch in dieser Hinsicht wird die Heinrich-List-Halle zum perfekten Kinosaal: Die hinteren Plätze sind die besten. Weit mehr noch als in "Bählamms Fest", das ebenfalls zusammen mit Elfriede Jelinek für die Wiener Festwochen entstand, zeigt Olga Neuwirth nun, was sie sich traut: alles nämlich.

Sie hat keine Angst, am Film gemessen zu werden. Und sie braucht sich nicht zu fürchten, mit dem Sog der Bilder nicht mithalten zu können. Gerade das gelingt ihr mit atemberaubender Präzision. Es ist bloß eine Episode im Stück; Olga Neuwirth aber arbeitet sie aus zum großen Solo: Ein wütender Choleriker schlägt einen Mann zusammen, der das Rauchverbot in einer Werkstatt missachtet. Er schimpft und schlägt, David Moss hat da seinen großen Auftritt; Gavin Webber zuckt und raucht und fliegt, und die Orgie des Zornes will kein Ende finden. Sie kann kein Ende finden, denn die Musik reißt sie fort: Olga Neuwirth hat Klänge und Rhythmen gefunden für die Faszination der Gewalt, die verbale genauso wie die körperliche.

Sie hat für sich das große Geheimnis gelüftet: Sie weiß, wie man Ekel spannend macht. "Lost Highway" ist ein virtuoses Stück. Mit traumwandlerischer Sicherheit übersetzt es Zitate und Anklänge in Neuwirths eigene Sprache. Manchmal dringt Barmusik bis knapp unter die Oberfläche, dann ist es ein englisches Madrigal. Und gerade weil Olga Neuwirth keine Schwierigkeit damit hat, den E-Bass im simplen Rhythmus quaken zu lassen, ist ihr "Lost Highway" modernste Musik: Die ewigen Klangforschungsweltreisen der Avantgarde implodieren endlich, "Lost Highway" ist der Urknall einer neuen Musik, die ganz selbstverständlich "Pop" ist, ohne banal zu sein.

Unermüdlich stolpert ein Detektiv-Duo durch den Musik-Film, knipst Beweisfotos, kleckert Ketchup, kapiert nichts. Aber als Detektiv wie als Neuwirth-Hörer braucht man schon einen gewissen Killerinstinkt. Dann wird es unter Garantie ein geiler Trip.
5 Punkte (sehr gut)

Clemens Prokop

erschienen in:
Financial Times Deutschland, 3.11.2003