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Körpergeschichten in rasendem Wandel
Das Tanztheaterstück "insideout" beim Steirischen Herbst in Graz


Bühnenbildner, die Tanzstücke ausstatten, müssen in der Regel Minimalisten sein, denn Tänzer brauchen eigentlich nur eines: Platz. Daß Dekorationsideen von Choreographen sperrige Formen annehmen, ist darum selten. Mit "insideout" hat jetzt Sasha Waltz eine solche verwirklicht: Sechs Sattelschlepper brauchte die Schaubühne, um die in Berlin gebaute Dekoration für "insideout" vom Lehniner Platz nach Graz zu bringen. Dort wurde die Installation zur Uraufführung aufgebaut. Die Kulturhauptstadt und ihr Festival Steirischer Herbst haben nicht nur das Waltz-Stück mitfinanziert, sondern zuvor eine Industriehalle, in der früher Motoren auf Geräuschentwicklung hin getestet wurden, in einen dunkel getäfelten Konzertsaal mit perfekter Akustik verwandelt: für "insideout", das ein Konzert, eine Tanzaufführung und eine Ausstellung zugleich sein will, der ideale Ort.

Mit den teils mehrstöckigen Containern aus Aluminium, Holz und Plexiglas, den Treppen und Galerien, unzähligen Kisten, Kleidern, Kühlaggregaten und Diaprojektoren, die zur Ausstattung des Stücks gehören, erfüllte sich die Choreographin einen langgehegten Wunsch. Bühne und Zuschauerraum sollten nicht getrennt, eine Zentralperspektive auf das Geschehen unmöglich sein. Parallele, gespielte oder getanzte Aktionen an verschiedenen Orten sollten das Publikum einladen, von Szene zu Szene zu wandern, Tänzern zu folgen oder von ihnen umzingelt zu werden und Musikern so nahe zu rücken wie selten. Das ist ihr gelungen. Die räumliche Intimität und die Synchronizität der Ereignisse wirken in ihrer Nähe und Fülle fast überwältigend.

Aber das Publikum, das mit "insideout" die Eröffnung des Steirischen Herbstes feierte, nahm nach anfänglicher Überraschung gelassen hin, daß es ständig wandern mußte - und doch längst nicht alles sehen konnte. Anfangs ist es so dunkel im Raum, daß die architektonischen Umrisse kaum auszumachen sind. Und obwohl sich gleich der Eindruck einstellt, die Halle müsse riesig sein, können nicht mehr als zweihundert Zuschauer den Ort mit den neunzehn Tänzern und zehn Musikern teilen. Warum, das wird bald ersichtlich: Getanzt wird in sämtlichen, auch den kleinsten Abteilen der Containerlandschaft. Langsam beginnen die Tänzer, über die man beinahe stolpert, weil sie hinter Ecken wie schlafend am Boden liegen, sich zu regen. Kleine Schilder vermerken Namen, Geburtsdatum und -ort der Darsteller, daneben stehen rotglimmende Digitaluhren, die ihnen die Bühnenzeit anzeigen. Bevor die Komposition von Rebecca Saunders, in der klassische Instrumente wie Geige, Klavier, Trompete und Schlagwerk, aber auch Radios, Plattenspieler und Elektronik zum Einsatz kommen, beginnt, ertönen mehrere Anweisungen im Dunkeln. "No talking, no phoning, no littering" - das Publikum möge weder sprechen oder telefonieren, noch Kaugummipapierchen hinterlassen.

Zur Linken führt eine Treppe hinauf in einen verglasten Container, hinter dessen Scheibe ein merkwürdiges, unheimliches Wesen sich auf einen Stock stützt: Nicola Mascia ist von Hut bis Stöckelschuh in Hahnentrittmuster eingehüllt, selbst sein Gesicht und seine Ohren sind davon überzogen. In einer der vielen außen an Containern angebrachten Vitrinen sitzt eine Tänzerin im Trikot, daneben liegen ihre Spitzenschuhe: Hat sich Degas' "Petite Danseuse" noch immer nicht von der Fron des Danse d'école befreien können? Auf einem grasbedeckten, schrägen Dach tanzt Xuan Shi mit einer Energie, als ginge es um sein Leben. Laurie Young streift sich ein Kleid ihrer Mutter über, erzählt von ihrer Kindheit und zeigt ihren ersten Jazztanz.

In seiner Gleichzeitigkeit ist das alles sehr verwirrend. Überall öffnen sich Klappen im Boden und entbieten neues Spielmaterial, Lippenstifte und Kleider, Sprühdosen und Sonnenhüte, Megaphone und Bügeleisen. Mit den Sprachverstärkern brüllen sich die Tänzer gegenseitig Anweisungen zu, mit der Schminke wird eine bewegungslose nackte Frau präpariert, als wäre sie eine aufzubahrende Leiche, mit dem Bügeleisen glättet eine andere ihr Haar. Theater in der Kiste, Theater aus dem Kasten: Mal sieht man nur dreißig Hände aus Türchen winken, als wär's ein Adventskalender, mal kann man Tänzer, die im ersten Stock auf einem Rost tanzen, per Videoübertragung gleichzeitig von unten betrachten. Paare in Anzügen und Cocktailkleidern tanzen Tango, ein Kapitän entdeckt einen blinden Passagier, Sigal Zouk stellt dem Publikum ihre kleinen Kinder vor. Fröstelnd ziehen sich Grazer Damen aus einem eisgekühlten Container zurück, indem ein fellbekleideter Tänzer Spieluhren aufzieht.

So geht das immerfort, und das Publikum geht mit: treppauf, treppab, hier einen Schritt zurück, dort einen beiseite. Aber ist das Tanz? Wer führt hier eigentlich wen oder was vor? Die Gesellschaft, das sagte Sasha Waltz ihre vorbereitende Lektüre von Jean Baudrillard bis Ulrich Beck, ist in rasendem Wandel begriffen. Am besten, so die Ausgangsthese von "insideout", zeigen das Biographien von Tänzern, wie sie die Schaubühne beschäftigt. Höchst individuelle Beispiele der globalisierten Gesellschaft, leben diese das halbe Jahr aus Koffern. Sie stammen aus aller Welt, von der Dominikanischen Republik bis nach Dänemark. Um der Kunst willen leben sie das, was manche Soziologen Bastelbiographien nennen. Das macht sie so selbsterfinderisch und läßt sie dem Tanztheater von Sasha Waltz so exemplarisch in ihrer Nomadenhaftigkeit erscheinen. Das Stück "Insideout" verfolgt diesen Ansatz aber sehr unprätentiös. Sasha Waltz hat sich nicht von Gesellschaftstheorien irre machen lassen, sondern die Kindheits- und Tanzgeschichten ihres Ensembles mit ihren Motiven - Körper und Kindheit - zusammengeführt. In der Widersprüchlichkeit von "Insideout" drücken sich insofern die Probleme des Tanztheaters aus. Seine Formen tendieren zur Auflösung, seine Themen münden in pure Selbstreflexion

Wiebke Hüster

erschienen in:
Frankfurter Allgemeine Zeitugn, 20.09.2003