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Die großen Häuser holen auf oder: Was bleibt von 2002/2003?
Die Bilanz der Spielzeit im Urteil von 50 Opernkritikern


Schon einmal wurde Frankfurt «Opernhaus des Jahres». Das war 1996. Sylvain Cambreling focht gerade einen heroischen Kampf gegen die Kulturpolitik der Stadt. Wenig später gab er auf und verabschiedete sich mit «Fidelio», dem alten Bekenntnisstück. Christoph Marthaler inszenierte. Der Absturz danach hätte nicht tiefer sein können: Die Frankfurter Oper versank nicht nur, wie nach dem Wechsel von Michael Gielen zu Gary Bertini, im szenischen und intellektuellen Mittelmaß; ihre Zukunft als solche wurde immer wieder in Frage gestellt. Es roch nach Intrigen. Martin Steinhoffs unglückliches Regiment wurde mit stattlichen Abfindungen und Absicherungen belohnt. Wie konnte es Bernd Loebe schaffen, innerhalb einer Spielzeit nicht nur den alten Muff wegzublasen, sondern auch ungeahnte Energien des Frankfurter Hauses freizusetzen? Die Antwort gibt er selbst in diesem Jahrbuch: dreizehn neue Produktionen als Test, als Versuch, das Haus aus der Lethargie zu reißen. Das ist ihm gelungen. Der Therapie-Mix wirkte: zweimal Sciarrino («Macbeth» und «Luci mie traditrici») und drei weitere Stücke aus dem 20. Jahrhundert («Die Frau ohne Schatten», «Der Schatzgräber», «The Turn of the Screw»), zweimal Schubert («Fierrabras» und, szenisch, «Die schöne Müllerin»), außerdem Wagners «Tristan», Haydns «Isola disabitata», Massenets «Manon» und Oskar Straus' «Walzertraum» sowie konzertante Aufführungen (Meyerbeers «Hugenotten» und Verdis «Jerusalem»). Beeindruckend daran waren nicht nur Vielfalt und das schiere Arbeitspensum. Beeindruckend war, wie sich bei jeder Produktion neue, andere künstlerische Koordinaten abzeichneten, wie jedes Stück von genau den Leuten erarbeitet wurde, die mit ihm umgehen konnten. Ausfälle gab es wenige. Und gerade mit den Stücken des 20. Jahrhunderts landete Loebe einen Coup nach dem anderen. Ohne Stars, sondern mit einem neu aufgebauten Ensemble. Und mit Dirigenten, die dieses zu nutzen verstanden. All das spiegelt sich in unserer Kritikerumfrage. Mit siebzehn Voten ist Frankfurt unangefochten «Opernhaus des Jahres». Sebastian Weigle wurde für sein Dirigat der «Frau ohne Schatten» zum «Dirigenten des Jahres» gewählt. Schrekers «Schatzgräber» hebt die «Ausgrabung des Jahres». Die Regisseure David Alden und Christof Nel wurden für ihre Frankfurter Arbeiten zumindest nominiert. Ob Loebe auf diesem Niveau weiter planen kann, liegt weniger an der künstlerischen Kraft seines Hauses als an finanziellen Daumenschrauben, die, dem Erfolg zum Trotz, die Zukunft verdüstern. Auf Platz zwei in der Kategorie der Opernhäuser liegt Hannover. Dort hat Albrecht Puhlmann nach der langen Ära von Hans-Peter Lehmann für Wirbel gesorgt, viel Publikum vertrieben und (nicht ganz so viel) neues gewonnen. Viele Ideen und Künstler sind in Puhlmanns Basler Zeit erprobt. Extrem verschiedene Regiehandschriften wie Jossi Wieler/Sergio Morabitos «Pelléas et Mélisande» oder Calixto Bieitos «Trovatore» prallen auf moderatere Belcanto-Erkundungen. Bieito polarisiert dabei nicht nur beim Publikum: Bei dieser Umfrage stufen ihn die Kritiker sowohl als Ärgernis wie als Regisseur des Jahres ein. Den dritten Platz der Opernhäuser teilen sich Essen und Stuttgart. Wobei in beiden Fällen die kontinuierliche Qualität den Ausschlag gab. In Stuttgart steht nach wie vor der «Opernchor des Jahres» auf der Bühne. Schönbergs «Moses und Aron» dürfte für ihn nach zwei Nono-Stücken zwar keine Überraschung gewesen sein, aber doch eine immense Herausforderung. Sie wurde auf einem Niveau bewältigt, wie man es sonst nicht einmal im Konzert erlebt. Das Team aus Jossi Wieler, Sergio Morabito, Anna Viebrock und Lothar Zagrosek sorgte für eine ebenso unterhaltsame wie tiefgründige Deutung von Schönbergs Opus summum. Auch in Essen zahlen sich Kontinuität und Ensemblegeist aus. Stefan Soltesz bleibt GMD und Intendant in Personalunion, führt das Haus straff und schont sich selbst so wenig wie seine Mitarbeiter. Seine Philharmoniker sind so zum «Orchester des Jahres» gewachsen, bewältigen kargen Bellini genauso delikat wie die orchestral üppige «Ägyptische Helena» von Richard Strauss, ein musikalischer Glanzpunkt der Essener Saison. In der Kategorie der Dirigenten rangiert Soltesz in diesem Jahr auf Platz zwei und kommt auf dieselbe Votenzahl wie andere penible Detailarbeiter: Marc Minkowski, Nikolaus Harnoncourt und Alberto Zedda. Zur «Aufführung des Jahres» wurde in dieser händelreichsten aller Spielzeiten «Rinaldo» gewählt, den Nigel Lowery und René Jacobs als grelle Unterhaltungsshow verstanden. Die Produktion wurde in Montpellier, Innsbruck und an der Berliner Staatsoper Unter den Linden gefeiert, wobei die Besetzung wechselte und in Berlin zweifellos am schwächsten blieb. Die in Innsbruck entstandene Aufnahme setzt keineswegs auf den Live-Effekt, sondern kombiniert Möglichkeiten des Studios mit dem Lerneffekt der Aufführungen. Sie legt viele Details anders an, bannt «Rinaldo» als pralles, vor Kontrasten, Improvisationsgestus und Klangneugier strotzendes Hör-Spiel auf die Konserve: die «CD des Jahres». Auch der «Regisseur des Jahres» sammelte seine Voten mit einem Barock-Stück. Christof Loy arbeitete erstmals an der Bayerischen Staatsoper und hatte nicht nur eine erlesene Besetzung um David Daniels und Alastair Miles zur Verfügung. Er schaffte es, den mit Händel keineswegs allzu sehr vertrauten Staatsopernchor (der in den Händel-Opern bekanntlich kaum zu tun hat) extrem zu motivieren und zum Protagonisten von «Saul» aufzuwerten. Das Oratorium entpuppte sich unaufdringlich als Gesellschaftsstück. Jede Geste, jede Reaktion auf die Musik war exakt ausgearbeitet. Wobei im Einheitsraum von Herbert Murauer (halb Kirche, halb Konzertsaal oder Versammlungsraum) Zeiten und Tonfälle der Szene wechselten: Eine ironisch gezeichnete, barocke Hofgesellschaft wandelte sich zur schwarzen Trauergemeinde, schließlich zu quietschbunten, beängstigend sorglosen Groupies von heute. Mit seiner leisen und präzisen Arbeit gewann Loy das Haus und wird dort, wie in London, Frankfurt und der Deutschen Oper am Rhein auch in Zukunft arbeiten. Dieser «Saul» liegt in der Kategorie der Aufführungen des Jahres nur eine Stimme hinter «Rinaldo» und kam auf ebenso viele Voten wie der Stuttgarter «Moses» und Peter Konwitschnys Deutungen der «Meistersinger» (in Hamburg) und des «Don Giovanni» (an der Komischen Oper Berlin). Die fünf wichtigsten Aufführungen, die diese Umfrage ermittelt, spannen somit den Bogen von Händel über Mozart ins 19. Jahrhundert und zu Arnold Schönberg: Plädoyer für eine starke Spielzeit, deren Impulse endlich wieder (und im Gegensatz zu den Vorjahren) von großen Häusern ausgingen. Hat die «Sängerin des Jahres» noch irgendeine Publicity nötig? Wird sie nicht vielmehr erschlagen vom Übermaß des Medieninteresses? Anna Netrebko wurde für ihre Donna Anna im Salzburger «Don Giovanni» gewählt und taucht außerdem in der Kategorie der Nachwuchssänger auf. Damit hat die Sopranistin aus Russland, die in Italien ausgebildet wurde und ihre ersten Erfolge in den USA sammelte, alle Kolleginnen weit überrundet. Äußerlich weit weniger, künstlerisch aber nicht minder spektakulär verlief die Entdeckung von Jacek Laszczkowski. Lange stand er als «normaler» Tenor auf der Bühne der Warschauer Kammeroper, probierte seine Sopranstimme nur gelegentlich aus. Plötzlich konnte er in München als Nerone in Monteverdis «Poppea» einspringen. Zufällig saßen in dieser Aufführung Hamburgs Opernintendant Louwrens Langevoort und die Regisseurin Karoline Gruber. Erst später ergab sich, dass Gruber in Hamburg «Poppea» inszenieren sollte. Und beide erinnerten sich an den Eindruck, den Laszczkowski im Prinzregententheater hinterlassen hatte. So kam der Pole zu seiner ersten deutschen Premiere. Er nutzte die Chance und wurde prompt zum «Sänger des Jahres» gewählt. Auch der «Bühnenbildner des Jahres» gehört zur jüngeren Generation. Christian Schmidt verlegte Wagners «Tannhäuser» auf der Basler Bühne in ein Hotel. Hier, wie auch bei Schuberts «Fierrabras» in Zürich und bei der Uraufführung von Terterjans «Das Beben» im Staatstheater am Münchner Gärtnerplatz bildete er ein Tandem mit dem Regisseur Claus Guth. Allein mit seinen zwischen Mythologie, Fantasy und bürgerlichem Kammerspiel wechselnden Kostümen zu «Idomeneo» brachte es Reinhard von der Thannen zum «Kostümbildner des Jahres». Regie bei dieser Produktion der Deutschen Oper Berlin führte Hans Neuenfels. Wenn Kritiker sich ärgern und die Gründe auch noch bei einer Umfrage zu Protokoll geben, muss man genau hinschauen. Dass Berlin wieder einmal «Ärgernis des Jahres» ist, überrascht kaum. Doch die Stimmengewichtung verrät, wie sich Details verändert haben. Neben einer Stadtführung, die nach wie vor nicht in der Lage ist, langfristige Opern-Perspektiven zu schaffen (Christa Weiss' Vorstoß von Seiten des Bundes kann das kaum ausgleichen) und vor allem Künstler und Manager zu finden, die diese mit Inhalten füllen, sammelt diesmal vor allem die Komische Oper Negativvoten. Andreas Homokis erste Saison lieferte Flops in Folge, angefangen von seiner eigenen, groben Inszenierung der «Verkauften Braut» und gipfelnd in einem «Peter Grimes», der auch die gutwilligsten unter den Stammgästen vertrieb. Nur Peter Konwitschnys «Don Giovanni» hob die desaströsen Auslastungszahlen. Andererseits liegt der Chor der Komischen Oper auf Platz zwei hinter dem von Stuttgart. Mit welcher Verve die Sängerinnen und Sänger sich stimmlich und körperlich einsetzen, lässt noch immer viel von Geist und Tradition des Felsenstein-Hauses spüren - selbst wenn sie in ihrem Umfeld oft bedauernswert sind. Auch der neue GMD Kirill Petrenko und sein Orchester bringen positive Voten. Dennoch sorgen immer wieder falsch ausgewählte Regisseure und absurde Werkverkleinerungen für Misserfolge bei Publikum und Kritik. An der Staatsoper ärgerten sich die Kritiker besonders über die mit viel Aufwand, aber wenig künstlerischer Substanz betriebenen Neuproduktionen von «Die Nase» (inszeniert vom neuen Intendanten Peter Mussbach) und «Ariadne auf Naxos» (gedeutet von Reinhild Hoffmann). Für die Deutsche Oper brachte die Überschätzung Christian Thielemanns negative Voten. Aber auch hier trennen die Kritiker dieser Umfrage zwischen Fehlentscheidungen auf der Leitungsebene und den Leistungen der Kollektive: Chor und Orchester der Deutschen Oper wurden in ihren Kategorien positiv nominiert. Besonders die ungekürzte Aufführung von Rossinis «Semiramide», angetrieben von der schier unerschöpflichen Energie des fast 80-jährigen Alberto Zedda, knüpfte an große Tage des größten Berliner Opernhauses an. (Die dezente Regie stammte von Kirsten Harms.) Für die «Uraufführung des Jahres» sorgte ein Schweizer, der seit langem in Österreich lebt, Klänge und Sprache mikroskopisch zerlegt und so neu findet: Beat Furrers «Begehren», gespielt in der neuen, akustisch fabelhaften Helmut-List-Halle von Graz, ist eine Text-, Laut- und Gedanken-Collage über den Orpheus-Mythos. Statt Handlung schafft sie einen Assoziationsraum, statt psychologischer Plausibilität abstrakte Variationen über das Thema der Begierde. Furrer dirigierte die Uraufführung im Rahmen des «steirischen herbst»; für die Choreographie war Reinhild Hoffmann verantwortlich. Weitere Voten erhielt Furrer für sein neuestes Stück «Invocation», das er im Züricher Schiffbau mit Christoph Marthaler erarbeitete. Auf Platz zwei der Uraufführungen landeten überraschenderweise die Rezitative, die Manfred Trojahn für die Amsterdamer Premiere von Mozarts «Titus» geschrieben hat. Sie erschienen immerhin einigen Kritikern wichtiger als ein neues Stück. Wobei die Kategorie der Uraufführungen Meinungsdissens bei der Kritik so deutlich spiegelt wie sonst nur ein Bieito: Nicolas Maws melodramatisches Riesenopus «Sophie's Choice», mit viel Werberummel von Simon Rattle an Covent Garden uraufgeführt, wurde sowohl als Ärgernis wie als Uraufführung des Jahres nominiert. Das «Buch das Jahres» hat Dietrich Fischer-Dieskau geschrieben, und er bewegt sich damit auf seinem ureigensten Terrain: Für Hugo Wolf hat er sich als Sänger beispielhaft eingesetzt zu einer Zeit, als das noch keineswegs opportun war. Die neue Wolf-Biographie und ihre ausführlichen Werkbeschreibungen zu lesen, lohnt sich immer. Dasselbe gilt, wie jedes Jahr, für die Fragebogen dieser Umfrage, die wir nicht ohne Grund abdrucken: Erst wer sich die Kritikerantworten im Detail vergegenwärtigt, hat das Panorama der Spielzeit vor sich. Überraschungen ergeben sich dabei auch jenseits der klaren Tendenzen.

Stephan Mösch

erschienen in:
Opernwelt   http://www.opernwelt.de/jahrb-frame.html