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Augen zu und durch!
Olga Neuwirths Komposition „Lost Highway“ nach dem Film von David Lynch beim steirischen herbst in Graz  


Bilder sind der größte Feind von Musik. Oft merkt man das jedoch nicht. So, wie Musik die Kraft hat, Texte zu neutralisieren und sie gar zum Verschwinden zu bringen, so können Bilder Musik bagatellisieren, vernichten, zersetzen. Den Beweis dafür liefert die Uraufführung von Olga Neuwirths „Lost Highway“ beim Steirischen Herbst in Graz, die szenisch so gnadenlos scheiterte, dass die diffizil und meister(innen)haft gearbeitete Partitur fast im Strudel dieses Unglücks versunken wäre.
Die 1968 in Graz geborene Olga Neuwirth ist eine der Lichtgestalten der Avantgarde, die sich nach wie vor gegen die gängige Musikverdummung stemmt. Bekannt wurde sie durch ihre Zusammenarbeit mit der Autorin Elfriede Jelinek, die auch bei „Lost Highway“ mitgeholfen hat. Von Anfang an begeisterte und verstörte die Komponistin durch einen kompromisslos herben Klang, der sich in aufmüpfigen Verästelungen um keine Romantik, keine Sentimentalitäten, keine Psychologie und keine Anbiederung schert, sondern furchtlos direkt dem Hörer Klangwahrheiten an die Ohren schleudert. Doch wer nur einmal in Graz war und erlebt hat, wie unerbittlich die steirischen Berge auf die Stadt herabdrohen, findet sich in Neuwirths Musik problemlos zurecht.

Psychospiel mit Urängsten
Musiktheater nach literarischen Vorlagen sind seit Hunderten von Jahren en vogue. Auf Filmstoffe dagegen wird von Komponisten seltener zurückgegriffen, obwohl das Kino doch Leitkultur unserer Gegenwart ist. Typisch für Neuwirth, dass sie sich mit „Lost Highway“ einen kaum deutbaren, aber gnadenlos im Urschlamm der menschlichen Psyche wühlenden Gruselschocker ausgesucht hat. David Lynchs Film treibt ein schonungslos heftiges Spiel mit der Urangst vor einem Identitätsverlust. Zwei parallele und im Kern realistische, aber immer wieder durch irreale Vorkommnisse torpedierte Geschichten werden erzählt, vom Musiker Fred und vom Automechaniker Pete. So unterschiedlich die beiden Männer auch sind, sie lieben beide Varianten der einen Frau, sie haben ähnliche (sexuelle) Probleme und ein paar gemeinsame Bekannte wie den rätselhaften Mystery Man. Vor allem aber: Fred verwandelt sich in Pete und zuletzt wieder zurück in Fred.
Genauso fasziniert die Zeitstruktur des Films, der sich im Kreis zu drehen scheint. Während Petes Geschichte chronologisch nach der von Fred erzählt wird, scheint sie zeitlich aber vor dieser zu liegen und endet in der Anfangsszene des Films. Aber das bleibt nur ein vager Eindruck, für den zwar etliche Indizien sprechen – genauso wie andere diese Zeitstruktur widerlegen. Das macht den Reiz des Films aus, dass er sich jeder Eindeutigkeit verweigert und zwei Stunden lang die Atmosphäre einer beklemmenden Bedrohung aufrechterhält, die sich jeglicher Rationalisierung entzieht.
Lynch und sein Co-Autor Barry Gifford haben in bester postmoderner Manier die gängigsten Klischees aus Polizei- und Gangsterfilmen, aus Mann-Frau-Psychokisten, Werwolflegenden und Gruselgeschichten à la Dr. Jekyll und Mr. Hyde zusammengeschraubt, um daraus eine heftig überdrehte, emotional schwer erträgliche Parabel zu kreieren, deren Sogkraft allein über die Bilder und die frappante Personenführung sich vermittelt, während Plot und Dialoge eher zweitrangig wirken. Abstrakt werden hier existentielle Fragen nach Identität, Liebe, Sex, Wahrheit gestellt. Die Kategorien des Films sind die der Ahnung und der Vision, und deshalb eignet sich diese Geschichte auch so wunderbar für eine Vertonung, weil dies auch die ureigensten Kategorien von Musik sind.
Neuwirth und Jelinek haben das englische Drehbuch in seiner Struktur kaum verändert, sie haben allerdings wenig bühnentaugliche Szenen gestrichen und viel eingedampft. Vielleicht so stark verkürzt, dass derjenige, der die plastisch übergenaue Formulierung des Films nicht vor Augen hat, kaum der Story folgen kann, die in Graz zudem ohne Übertitel gespielt wird. Kennt man den Film und überlässt sich ganz der Führung der Musik, dann entpuppt sich Neuwirths Stück als eine überraschende Lesart. Neuwirth hat konsequent der Versuchung widerstanden, die existentialistisch triste Atmosphäre und den absurden Grundton dieser fatalistischen Geschichte in Musik zu übertragen. Das gilt zumindest für die vom Klangforum Wien unter Johannes Kalitzke umwerfend engagiert gespielte Musik, während sich die vom Grazer Institut für Elektronische Musik gebastelten Einspielungen und Verfremdungseffekte banal gewöhnlich zwischen Dröhnen, Sampel-Spielereien und eher faden Verfremdungseffekten bewegen.
Die für herkömmliche Instrumente komponierte Musik dagegen erzählt ganz gegen Lynchs düstere Verunsicherungsdramaturgie von den befreienden Chancen und rauschhaften Freiheiten, die Identitätsverlust, Verunsicherung, elementar heftige Sexualität und die in jedem Körperkontakt virulente Brutalität für einen Komponisten bedeuten können. Während bei Lynch die Abweichung von der faden Norm einen Alptraum produziert, ist sie für Neuwirth begeistert aufgenommene Vorlage für Ausbruch, Rebellion, Selbstbefreiung und Neubestimmung. So entsteht eine rhythmisch meist klar bestimmte Musik, voller Energie, oft aus kleinteiligen, fast an minimal music erinnernden Partikeln kompakt konstruiert. Während Lynch fast zwei Stunden lang den Zuschauer quält, braucht Olga Neuwirth eine halbe Stunde weniger, um die gleiche Geschichte nuancenreicher und deutlich optimistischer zu erzählen.

Die Regie zerstört die Magie
Die Fred-Episoden werden vornehmlich gesprochen. Erst, als er sich in Pete verwandelt, kommt avancierter Gesang mit ins Spiel. Das Sängerteam um Constance Hauman, Georg Niggl, Andrew Watts, David Moss und Kai Wessel ist jeder dieser Belastungsproben elegant gewachsen. Wer die Augen schließt und sich dem Strom der Klänge überlässt, erlebt eineinhalb beglückende Stunden. Als Hörstück genügt Neuwirths „Lost Highway“ höchsten Ansprüchen.
Auf der Bühne erlebt man allerdings, wie heillos konkurrenzunfähig eine deutsche Stadttheaterregie sich neben Lynchs Geniestreich ausnimmt. Anstatt jeder Analogie zum Film aus dem Weg zu gehen und sich um die ganz anders geartete Zielrichtung der Musik zu kümmern, verliert sich Regisseur Joachim Schlömer in einem peinlich choreografierten Stenogramm der Vorlage. Alles, was cool und selbstverständlich war, kommt nun gestellt daher, gestelzt und dämlich. Sänger sind keine Filmstars, oft nicht einmal gute Schauspieler. An dieser einfachen Wahrheit zerschellt der ganze Abend, da sich die plumpe Übermacht der Bilder wie ein hässlicher Riegel vor die so unendlich genauer und faszinierend gearbeiteten Klänge legt.

Reinhard J. Brembeck

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung, 3.11.2003   http://www.sueddeutsche.de