pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
pressespiegel              
pressebüro kontakt                
akkreditierung   
pressephotos 
Die Suche ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.
Der Newsletter ist auf
der aktuellen Webseite
verfügbar.

<<  zurück

Pingpong mit Worthülsen am Küchentisch
Uraufführung des Stücks "Wilde" von Händl Klaus beim "steirischen herbst": Durch die Regie von Sebastian Nübling - ein Erfolg


Mit Begriffen wie "Ortlosigkeit" und "Integration" jongliert die Uraufführung des Stücks "Wilde" von Händl Klaus beim "steirischen herbst": Sie gerät nur durch die Regie von Sebastian Nübling zum Erfolg.

Graz - Der Händl Klaus hat wieder ein Stück geschrieben. Mehr ist dazu - ein Auftragswerk des "steirischen herbstes" - eigentlich nicht zu sagen. Aber die Regie Sebastian Nüblings machte bei der Uraufführung im Grazer Orpheum doch sehr viel aus Händls (wilde) - der mann mit den traurigen augen.

Da läuft zunächst einmal ein großer Koffer (Bühne und Ausstattung: Muriel Gerstner) herein. Das Anhängsel zu diesem Pars pro Toto für globalisierte Reiselust (oder Reisefrust) ist Gunter aus Bleibach, köstlich und bewusst orientierungslos gespielt vom ehemaligen Castorf-Schauspieler Bruno Cathomas. Gunter aus Bleibach war ein "Arzt ohne Grenzen" in Moldawien und sollte jetzt zu Papi und Mami nach Bleibach fahren. Aber er stieg vorher aus, und zwar nicht in Graz, sondern in Neumünster an der Lau.

Dieses Irgendwo ist zugleich überall. Die Vagheit, die zugleich umspannend Existenzielles sagen will, ist ein ungelöstes Problem des Textes. Wenn im Programmheft als Modell auf Gregor Schneiders Aufsehen erregende Installation bei der Biennale 2001, Totes Haus ur, verwiesen wird, so ist dies zu hoch gegriffen: Schneider hatte in Venedig eine Rauminstallation hingestellt, die dem Besucher durch Verschiebungen - realiter und in winzigen Wahrnehmungsveränderungen - tatsächlich den Boden unter den Füßen wegzog.

So doppelbödig ist aber Händl Klaus nicht. Er zimmert sein Dramenhaus aus den Versatzstücken des aktuellen Diskurses: Migration, Heimatlosigkeit, Identität. Aber zu einem Fundament hätte hier mehr gehört als bloß Lockwörter für freie Assoziationen. Glücklicherweise ergibt dies aber, wie ein nicht ganz auskomponiertes Musikstück, dennoch eine Partitur, die einer klugen Regie die Möglichkeit zu Improvisation, vor allem aber zu größerer Konkretisierung bietet.

Überraschend vor allem die fulminante Anfangspassage und das Bühnenbild: Die aufgestellten Gepäckschließfächer tragen die eineinhalb Stunden lang Verschiedenes wörtlich und metaphorisch. Vor diesen und in diesen Kästen in Neumünster an der Lau treiben sich die Brüder Hanno und Emil Flick (Peter Knaack und Tim Porath) herum. Nicht nur ihrer Frauenkleider wegen schockieren sie den aus der vermeintlichen Nichtzivilisation Moldawiens zurückkehrenden "Arzt ohne Grenzen". Schrecklicherweise nützen sie die Schließfächer zusätzlich sowohl als Pissoir als auch, wie urzeitliche Höhlen, als Wohnraum. Und dann wollen sie auch noch den Gunter aus Bleibach in Neumünster an der Lau integrieren: "Ihnen geschieht nichts. Sie sind ja freundlich."

Ein Autor spielt Lego

Die Ideen kommen hier aber immer aus der Inszenierung und nicht aus dem Text. Ein sprachbewussterer Autor hätte, sofern er sich je zu so globalen Themen äußern wollte, hier sicher das Wort "Integration" sprachlich durchgespielt (vorstellbar: eine Kaskade von Gert Jonke zu "Integration"; oder die zerstörende Zerlegung des Begriffs). In dieser Sprache aber reicht es nur zu Lego-Bausteinen wie: "Es ist so heiß. - Wie heißen Sie?"

In der Grazer Uraufführung aber wird, was nicht geschrieben wird, durch die Regie erst gedacht und sichtbar gemacht: "Integration" in den Nichtort und zugleich in die Familie Flick geschieht ganz sinnhaft und brutal durch den Klammergriff des Vaters Flick (Wilhelm Schlotterer). Ebenfalls überzeugend ist die Idee, den Familientisch zum Stammtisch mit all seinen Brutalitäten zu machen. Und wo schon so viel Zwang herrscht, da ist auch die Ehe nicht mehr weit:

Der "Arzt ohne Grenzen" erfährt die seinen, als er der zur Hochzeit ausstaffierten Tochter des Hauses Flick (bezaubernd brutal: Simone Henn) gegenübergesetzt wird. Hier funktioniert einmal auch vom Text her ein Ablauf mit kleinen Verschiebungen und Verrückungen, etwa wenn sie am Küchentisch Tischtennis spielen, dabei aber Ausdrücke aus dem "großen" Tennis gebrauchen.

Sehr witzig im Anschluss daran der Regieeinfall, die "pneumonia migrans" der Frau im Brautkleid, die ins Schließfach flieht, vom Arzt mit Hörrohr aus der Distanz diagnostizieren zu lassen, und die Quentin-Tarrantino-Zitate. Und dazwischen immer wieder diese zwei Flick-Brüder, die - nach dem Modell von Stummfilm-Paaren - wirklich wie Reißverschlüsse den Gast immer wieder einverleiben. - Mit großem Applaus wurde all dies in Graz integriert.

Richard Reichensperger

erschienen in:
Der Standard, 22.09.2003