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Vom Thriller zur modernen Oper
Mit «Lost Highway» hat Olga Neuwirth eine neue Form des Musiktheaters erfunden: die Oper zum Film. Die Grazer Uraufführung wurde gefeiert.


Wirklich gute Stoffe sind rar. Deshalb werden sie gerne mehrfach ausgebeutet. Wir kennen die Buchverfilmung, das Buch zum Film, das Drama zum Roman, das Musical zum Drama. Und jetzt gibt es also eine weitere Gattung: die Filmoper.
Die Librettistin Elfriede Jelinek und die Komponistin Olga Neuwirth hatten in David Lynchs «Lost Highway» so viele ihrer eigenen ästhetischen Vorstellungen wiedergefunden, dass sie sich entschlossen, den absurd-enigmatischen Thriller von 1996 ihrem eigenen Metier anzuverwandeln und daraus eine Oper zu bauen. Als Auftragswerk des Festivals Steirischer Herbst ist sie am Freitag in der Grazer Helmut-List-Halle uraufgeführt worden.

Erstaunlich exakte Adaption
Sie sind also Musiktheater geworden, die surrealen Erlebnisse des Fred Madison, der (vielleicht) seine Frau umgebracht hat, darauf zu einem anderen wird und, umgeben von mysteriösen Gestalten und in einem Klima von Pornografie und Gewalt, als anderer seine eigene Geschichte in nicht aufzulösender Unlogik mit kafkaesker Konsequenz erlebt. Der Vergleich mit dem Original ist unvermeidlich und legitim. Denn das Resultat ist nicht etwa eine freie Fantasie über Elemente und Motive des Films, sondern eine direkte und erstaunlich exakte Adaption. Elfriede Jelineks Libretto ist eine gekürzte Version des Drehbuchs von David Lynch und Barry Gifford. Die englischen Dialoge sind mit einer einzigen Ausnahme wörtlich übernommen, deren lakonischer Tonfall entspricht in den gesprochenen Passagen genau der Vorlage. Und wo die Ereignisse die bühnentechnischen Möglichkeiten übersteigen, schreibt Jelinek Videoeinspielungen vor (von denen in Joachim Schlömers Inszenierung freilich - aus Gründen mangelnder Praktikabilität? - diverse entfielen).
Auch die Szenendramaturgie mit ihren kurzen, von Ab- und Aufblenden getrennten Episoden entstammt dem Film, genau- so wie Kostüme und Perücken der meisten Figuren in Jens Kilians Ausstattung, die bis in suggestive Details wie etwa den Zimmernummern eines Motels zitierend aufs Original anspielt. Ein konstantes Déjà-vu für einen Lynch-Fan also. Und worin liegt der Gewinn?
Die Faszination der Autorinnen für Lynchs Werk überrascht nicht. Die gewaltbesetzte irrationale Parallelwelt zur Normalität, das Wanken der Wirklichkeit und die brutale Trivialität der vordergründigen Ereignisse, das ist Jelineks Thema: Die existenzielle Ungemütlichkeit als notorisches österreichisches Gegenklischee. Und Olga Neuwirth hat hier einen Stoff gefunden, der sie mit seinen irrational durchmischten Zeitebenen vom konventionellen chronologischen Erzählen entbindet.
Ihre Musik vertont denn auch kaum. Sie ist vielmehr der atmosphärische Soundtrack zum Geschehen, der untergründige Strom des Schreckens, das unaufhörliche Dröhnen, Rauschen, Klirren und Beben aus den Trümmern einer eingestürzten Realität. Die Musik ist es, die den verspielten Suspense-Thriller ans Land der bedeutungsschweren europäischen E-Moderne zieht.
Zur Umsetzung standen der Komponistin das gross besetzte Klangforum Wien unter Johannes Kalitzkes Leitung und die Sounds des Instituts für elektronische Musik der Musikhochschule Graz zur Verfügung. Ein hervorragendes Ensemble, tadellos funktionierende Technik und mit Constance Haumann, David Moss, Georg Nigl, Andrew Watts, Kai Wessel und Vincent Crowly erstklassige Sänger und Schauspieler: traumhafte Ressourcen also, die Olga Neuwirth mit durchaus verschwenderischer Grosszügigkeit einsetzt für maximalen Effekt bei begrenzter Ideenvielfalt und zurückhaltender musikalischer Erfindungskraft.

Illustrative Stilzitate
Es sind nach einem Vorspiel mit schnellen Repetitionspatterns entweder hektische gestische Ereignisse, elektronische Stimmverfremdung oder das grosse dräuende Strömen, die den Sog dieser Musik ausmachen. Gelegentlich tauchen illustrative Stilzitate auf: Tanzmusik für eine Party, süsse Harmonien, wenn es um Verführung und Sex geht. Das wirkt alles bewusst unartifiziell, obschon kompliziert instrumentiert, und von geradezu physisch direkter Wirkung auf das Publikum.
Zwar fehlen auch in der Musik Anspielungen auf die Tonspur des Films nicht. Im Ganzen aber ist sie die wesentliche Neuerung - und gleichzeitig das fundamentale Problem der Adaption: Der einhüllende Sound ebnet ein, die Irritationskraft des Films verschwindet, die Verblüffung ist weg. Beruhte Lynchs Wurf auf dem Spiel mit unterlaufenen Erwartungshaltungen, auf Verwirrung und sich paradox verselbstständigenden Zitaten des Thriller-Genres, so folgt die durchaus gängigen Maximen zeitgenössischen Musiktheaters. Die nicht-lineare Erzählweise, die Auflösung der Figurenidentitäten, die Vermengung verschiedener Welten oder ganz allgemein die Verweigerung planer Verständlichkeit, dies alles gehört längst zum Stilrepertoire der modernen Oper und irritierte das frenetisch applaudierende Grazer Publikum nicht im Geringsten.
Für einige Kanten hat dagegen Regisseur Joachim Schlömer mit einer sorgfältigen, sporadisch stilisierenden Personenführung und tänzerischer Körpersprache gesorgt: Kleine Freiheiten, die er sich da erlaubt, wo nicht auch er sich bis hin zu einzelnen Gesten an den Film anlehnt. «Lost Highway» entstand als Koproduktion zwischen dem Festival Steirischer Herbst und dem Theater Basel, wo die Produktion gegen Ende der Saison zu sehen sein wird. Dem interessierten Publikum sei unterdessen David Lynchs Original empfohlen.

Michael Eidenbenz

erschienen in:
Tagesanzeiger Zürich, 3.11.2003   http://www.tagesanzeiger.ch