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  Mittelstädte mit Kunstputz
Stadtlandschaften im Kunsthaus Graz


  Graz - Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär ins Kunsthaus Graz zu überstellen. Die monumentale Mischtechnik aus Spielzeug- und Modellbauhäuschen dient, wie die meisten der bildenden Kunst zuzuordnenden Exponate innerhalb der Ausstellung M Stadt Europäische Stadtlandschaften, als Showelement.
Und angesichts von Burdens überbordendem Idyll stellt sich gleich die Frage nach dem "M" im Titel: Mittelstadt? Mittelmaß? Migration und Stadt? Mega-City? Metropolis? Oder, um bei Fritz Lang zu bleiben: Sucht Graz diesen Herbst einen Mörder? Oder geht es wieder einmal um Metaebenen, um Diskurse, um Medien und das Urbane, oder das Urbane als Medium?
Nun, es geht genau gesagt um das Viele, das so anfällt, wenn Städte sich wandeln (Diskursdeutsch: "Veränderungsprozess"), was sie seit ihrer Erfindung eigentlich gerne tun. Noch nie aber wurden sie dabei so genau beobachtet wie eben heute. (Diesfalls unter der kuratorischen Oberaufsicht des Architekturtheoretikers Marco De Michelis).
Und so gibt sich gleich die Ausstellungsarchitektur des spanischen Studios ReD/Research+Design als quasi urbanes Setting, legt im Space02 des Grazer 60er-Jahre-Retro-Aliens Wege an, setzt Blöcke in den Weg, erzwingt Ausweichmanöver, bietet Abkürzungen, um von Objekt zu Objekt zu gelangen. Und lässt von der Decke abgehängte Stoffbahnen eine Welle bilden, das Panorama einer Landschaft. Auf dieser Ebene finden sich die sechs Themen und Fragen wieder, die M Stadt zumindest gestellt haben will.
In Earthscapes untersucht der katalanische Architekt Vicente Guallart die geologischen Beschaffenheiten der Gebiete, in denen Städte entstanden sind, und kommt zur wenig erstaunlichen Erkenntnis, dass die Architektur weit mehr ihren eigenen Prinzipien gehorcht, als sich für die jeweilige Umgebung immer wieder selbst zu erfinden. Die Abteilung Euro-Sprawl will zeigen, dass europäische Städte heute ebenso ihrer Zentren verlustig gehen, wie amerikanische solche nie hatten. Dan Grahams Arbeit Homes for Amerika wird da als künstlerischer Input aufgeboten. In der Abteilung für Migrations sorgen Duane Hansons Derelict Woman - eine hyperrealistische Sandlerin aus bemaltem Polyester - und Gavin Turcs Nomad betitelte, befleckte Schlafsäcke aus bemalter Bronze, für Drastik.
Spätestens im Abschnitt Shopping wird deutlich, dass vieles an "Kunst" nur aufgeboten wird, um einer naturgemäß spröderen Architekturausstellung Pepp zu verleihen und die Vorzeigeschau des Festivals in allen Sparten mit großen Namen ausstatten zu können. Andreas Gurskys Mixed-Media-Arbeiten zur Marke Prada bringen ebenso wenig ein wie Sylvie Fleurys zu Tode ausgestellter vergoldeter Einkaufswagen. Und auch das Shopping-Wagerl, das der Berliner Stiletto 1989 zu einem Fauteuil recycelt hat, lässt den Zusammenhang mit Debatten und Modellen zu Shoppingmalls und anderen Freizeitlandschaften schwer vermissen.
Eine Ebene höher wurden die das Kunsthaus charakterisierenden, lichtgebenden Warzen bis in Betrachterhöhe nach innen verlängert. Und dienen nun als Kleinkinoräume, in denen Porträts der Städte Basel, Krakau, Triest, Ljubljana und des urbanen Systems des Ruhrgebietes laufen. Das sieht zwar recht hübsch aus, beschert aber weder der Schau noch deren Themen irgend einen Mehrwert.

Markus Mittringer

erschienen in:
STANDARD, Printausgabe vom 3.10.2005