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Zwischen Godard und Kabarett
Anders als in den Jahren zuvor verzichtete der steirische herbst heuer auf ein aufwändiges zentrales Bühnenereignis. Diesmal kein modernes Musiktheater von Olga Neuwirth oder Beat Furrer um Identität zu stiften oder die Massen hinzureißen. Nur eine Produktion des TIB mit dem verheißungsvollen Titel Nicht einmal Hundescheiße, auf einer Wiese nahe der Radetzkybrücke, und später im Dom im Berg von der Gruppe She She Pop eine nachgestellte gruppendynamische Erfahrung Lagerfeuer, ganz spät am Abend schließlich ein offizieller, geradezu übertrieben lustloser Empfang im Kunsthaus bei Liptauerbrot, Milchwecken und kalten Getränken.


Beide Produktionen, Hundescheiße und Lagerfeuer, hatten viel Schönes, schleppten sich aber gelegentlich trotzdem ziemlich dahin, beide stellten sie Material, Episoden, Einfälle über ein Genre zusammen. She She Pop betrieb gruppentherapeutische Spielchen am tatsächlich lodernden Gas-Lagerfeuer mit dem Ziel einer neuen Gemeinschaft; dem TIB ging es um eine Filmemacherin, die zu dem „Portrait ihrer Generation“ hintereinander drei Passantinnen befragt. Der TIB-Text von Pia Hierzegger flippt flapsig zwischen dramatisierter Statistik und Zeitgeist, zusammengehalten durch die schnörkellose Inszenierung von Helmut Köpping.
Der Bühneneinfall ist das Beste: Das Publikum sitzt an den schalldichten Fenstern eines Büroraumes im ersten Stock, blickt durch schalldichte Scheiben über den sparsamen Straßenverkehr hinab auf die Wiese gegenüber, wo hintereinander drei Passantinnen mit einer Filmemacherin, hörbar über Funk oder Playback, ihre Lebensthemen abhandeln: Mord als d i e Fortpflanzungsstrategie, Sammelleidenschaft als Reisemotiv und Flugangst. Auffallend war, wie interesselos die Passanten durch die Aufführung schlenderten, faszinierend die intensive Nähe zu den Darstellern, die so fern und via Funk den Zusehern bzw. -hörern doch so nah waren, großartig die banal-dramatischen, durch den Straßenverkehr eines wolkenverhangenen Samstagnachmittages generierten Zufallsbilder. Aber diese an Godard erinnernden Qualitäten verkleinern sich doch wieder auf Kabarett mit flachen Pointen.
Technisch aufwändig auch She She Pops an sich simples Lagerfeuer, an dem Gemeinschaft mittels Kommunikation via Kopfhörer hergestellt werden soll. Das Ausfassen der Grundausstattung – billiges Bier, Sticker, Kopfhörer – wirkte martialischer, als beabsichtigt. Man durfte Utopisches – Wünsche, Träume und Visionen – ins Mikro formulieren, alles mit dem Ziel ganz neuer Beziehungen und Sozialgeflechte. Für die Teilnehmer der Gruppe, die sich ihrer Funktion als Stichwortgeber bald klar wurden, verlor der schließlich zu lange Abend bald an Dynamik. Songs, schlaue Revueeinlagen, Parodien auf die Hippiezeit, nicht einmal üppige Nacktheit konnten den Eindruck ändern, dass es am Lagerfeuer zu lang und zu heiß wurde.
Die Ansätze beider Aufführungen verstehen sich vor allem ironisch, aber der immer wieder vorgeführte Rückzug in gespieltes Pathos bei She She Pop, dem beim TIB Desengagement und ein bei jeder Verlegenheit diminutiv wirkender Umgangston entsprechen, nehmen beiden Aufführungen viel von ihrer Originalität und vor allem Ernsthaftigkeit. Trotz des Paradoxen als Programm.
Außerdem noch: Herzschritt … dance different, Palais Thienfeld bis 15.10. täglich von 12 – 19 Uhr, Sa 12 – 17 Uhr und mnemonic nonstop, 15. – 17.10., jeweils 20.00 Uhr, im Kristallwerk.
Eine Oper, zerlegt in ihre Bestandteile, nannte Peter Oswald in seiner Präsentation das Werk Peter Ablingers namens Opera / Werke. Der Multiartist Ablinger greift als Gesamtkunstwerker in dieser Produktion unter anderem auf ein Audioarchiv zurück, dass er über 25 Jahre in Graz angelegt hat, woraus sich auch gleich die Frage nach partieller Austauschbarkeit der Städte stellt: Klingt Graz anders, als andere Städte? In sieben Akte zerteilt und über den Stadtraum verstreut also kommt Opera zur Aufführung, nämlich als Der Gesang im ESC im labor (sic.), als Das Orchster in der Helmut List Halle (14. u. 21. 10.) – 60 Instrumentalistinnen bilden eine Phonographie mit dem Recreation Orchester Graz unter der Leitung von Sian Edwards, wobei besagtes Archiv zum Einsatz kommt -, weiters als Das Libretto von Yoko Tawada wiederum im ESC, als Die Handlung im Opernhaus - für jeweils sechs Personen und zehn Minuten -, als Die Kulisse – Installationen im öffentlichen Raum etlicher Grazer Plätze, die, je nach Blickwinkel, typische Grazer Ansichten ausblenden – und hier wollen wir, zugunsten eines rhythmisierten Artikels einen kontrapunktivischen Punkt setzen. Einatmen. – Der sechste Akt, genannt Die Bestuhlung, ist eine weitere Stadtinstallation aus mobilen Sitzgelegenheiten und erinnert ein bisschen an die von der Gruppe InterACT im Vorjahr mit Sitzgelegenheiten ausgestattete Innenstadt und Das Publikum schließlich findet sich hoffentlich am 15. und 22. Oktober zum finalen siebenten Akt ein weiteres Mal in der Helmut-List-Halle ein. Während der Zeit der Aufführung vom 1. bis zum 22. Oktober und danach ist letzteres, das Publikum, aufgefordert zu synthetisieren, Bild und Klang zur Oper zu klittern.
Nichts mit finnischen Männerchören, vielmehr mit der Abstraktion eines vielfach unliebsam gewordenen Phänomens der mobilen Handtelefonie hat das Projekt Brüllen zu tun, das durchaus auch der Stadtoper in die sphärischen Übertragungsspektren geraten könnte: Durch welchen konzipierten Fehler auch immer hören Passanten im öffentlichen Raum der Stadt Graz halbe Telefongespräche mit, also jeweils nur den einen Sprecher, während der oder die andere an einem anderen Ort zu hören ist. Diese Kooperation mit dem Radiosender FM4 entspringt einer Idee sich kryptisch gebender Freunde der Realität. Die scheinbar versehentlich veröffentlichten Gesprächstexte aber stammen von Professionisten wie Kathrin Röggla, Werner Schandor und anderen mehr.

Wilhelm Hengstler / Wenzel Mracek

erschienen in:
Korso, 10.10.05