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 "Müssen radikaler werden"
MUSIK Peter Oswald, Intendant des steirischen herbst, zieht Bilanz über sein Festival. Ein Gespräch über neue Partner, den Zerfall der Städte und die Weigerung, Förderung mit der Gießkanne zu betreiben.


Peter Oswald ist seit 1999 Intendant des Festivals steirischer herbst. Vergangene Woche präsentierte er das Programm für den heurigen, seinen letzten herbst. Unter dem Titel „Stadt – polis on display“wird es dabei um die radikalen Umbrüche von europäischen Städten gehen. Umbrüche, die vom Wandel der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft ebenso geprägt sind wie vom neoliberalen Politdiskurs. Der Falter traf Oswald in einem schattigen Grazer Gastgarten zum Gespräch.

Falter: Der heurige steirische herbst ist Ihr letzter. Können Sie schon eine künstlerische Bilanz ziehen?
Peter Oswald: Eine definitive Bilanz wird es für mich erst mit 31. Oktober 2005, zum Abschluss des Festivals, geben. Aber eines kann ich schon vorweg sagen: Ich habe keinen Moment gezweifelt, dass die Entscheidung 1999 richtig war, den steirischen herbst zu übernehmen. Es ist eine produktive und spannende Herausforderung, im heute existierenden Festivalkonzert ein Unikat zu schaffen. Die Fokussierung auf neueste Tendenzen, auf junge Künstler und auch auf die Mehrspartigkeit ist tatsächlich ein Unikat, das dem steirischen herbst eine ganz spezifische Physiognomie gibt. Das ist auch eine Herausforderung, weil der steirische herbst eben ein junges Festival ist, das sich permanent neu erfinden muss. Das Zweite, was mir im Rückblick wichtig ist, ist die gesellschaftliche Kommunikation. Die Überzeugung, dass neue Kunst – unabhängig davon, ob es sich um Musik, bildende Kunst, Schauspiel, Literatur oder Architektur handelt – selbstverständlich keine Frage des Elfenbeinturms ist, wie es immer wieder vor allem im Zusammenhang von Musik und Musiktheater behauptet wird. Sondern dass sie bei richtiger Kommunikation, bei richtigen Strategien ihr Publikum finden kann, das darin gesellschaftliche Brüche, gesellschaftliche Antagonismen erkennen kann. Denn drittens – das ist mir auch ein zentrales Anliegen – geht es um die Verbindung von künstlerischer Produktion und gesellschaftspolitischen Widersprüchen. Und genau diesen Punkt versuchen wir heuer noch fokussierter zu machen, indem wir alles auf ein Thema zentriert haben.

Das ist das Thema der Stadt. Es geht um Umstrukturierungen des Begriffs Stadt. Welche sind das?

Es geht um die Transformation der europäischen Stadt. Unter dem Aspekt einer brutalisierten Globalisierung, unter den Aspekten des Standortterrors geht es darum, wie sich Städte behaupten können. Es geht um Transformationsprozesse, wie sie vergleichbar in allen europäischen Städten stattfinden. Und die Frage, wie Künstler, wie Wissenschaftler auf diese Transformationen, auf diese Veränderungen, auf die sozialen Verwerfungen, auf diese in den letzten Jahren verschärft auftretenden Antagonismen reagieren können und reagieren.

Die Stadt Graz ist ja davon nicht ausgenommen.

Die Stadt Graz ist davon natürlich nicht ausgenommen. In verschiedenen Projekten werden Querverbindungen aufgezeigt. Im Projekt „City Upgrade“, das wir mit ortlos architects machen, gibt es Querverbindungen zu Lille und Nis. Im Projekt „M-Stadt“, das mit dem Kunsthaus Graz koproduziert wird, mit dem venezianischen Architekturtheoretiker und Kurator Marco de Michelis, geht es um die Beziehungen von Graz zu Valencia, Basel, Krakau, Ruhrstadt, Triest und Ljubljana. In einem dritten Projekt, „mnemonic nonstop“von Martin Nachbar und Jochen Roller, geht es anhand des sogenannten Global Player um die Beziehungen zwischen Leuven, Berlin, Zagreb, Tel Aviv und Graz. Im Projekt des Theaters im Bahnhof „Nicht einmal Hundescheiße“geht es dezidiert darum, wie man eine Stadt überhaupt lieben kann, an der man permanent verzweifelt. In der Kontinuität von Beat Furrers „Begehren“ist auch Peter Ablingers „Stadtoper“ eine exemplarische neue Form von Musiktheater.

  Ganz wesentlich ist in diesem ganzen Zusammenhang, dass unter dem verschärften neoliberalen Paradigma Funktionen des Politischen an das Reich einer entfesselten Ökonomie abgegeben worden sind. Das ist ein Problem der Kommunen, auch wenn es die Politiker nicht öffentlich sagen. Sie sagen es einem unter vier Augen und jammern auch unter vier Augen, dass die Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund der Abgabe zentraler Funktionen an die globalisierte Ökonomie radikal reduziert worden sind. Und es wäre notwendig, dass das im politischen Diskurs viel radikaler und viel offener diskutiert wird.

Das Stichwort „Speckgürtel“könnte man anführen.

Speckgürtel könnte man natürlich anführen. Es geht um Agglomerationstendenzen. Es geht um die Tendenzen, dass um die urbanen Kerne herum offene Strukturen entstanden sind, die mit einer gewaltigen Infrastruktur aufkommen und mit einer hohen Belastung für die Städte, deren Bewohner den Stadtkunden gegenüberstehen, die aus den Speckgürteln kommen. Und die Speckgürtel selber haben ein ganz anderes Steueraufkommen, weil sie nicht die infrastrukturellen Leistungen der Stadt erbringen müssen. Deshalb wäre eine radikale Eingemeindung nötig. Das ist ein politisches Paradigma, das ernsthaft diskutiert werden muss.

Der steirische herbst lebt auch sehr stark von seinen Partnern. Sowohl in kulturpolitischer Hinsicht – Stadt und Land – als auch in künstlerischer Hinsicht. Es gibt beispielsweise die muerz werkstatt in Mürzzuschlag, das Pavel-Haus in Laafeld, K.U.L.M in Pischelsdorf. Gab es hier in den letzten Jahren Veränderungen? Zum Positiven? Oder zum Negativen?

Da gab es Veränderungen. Wir haben bestimmte Partnerschaften neu begründet, wir haben Partnerschaften beendet, weil die Partner nicht so mit uns kooperiert haben. Und es gibt ja kein Gesetz, das den steirischen herbst in irgendeiner Form verpflichtet, mit bestimmten Partnern zusammenzuarbeiten. Das hängt ausschließlich von der programmatischen Kraft, von der Kooperationslust der Beteiligten ab. Das Netz ist sehr komplex geworden. Und gleichzeitig haben wir uns – wie im Leben – von einigen Partnern, die diese Bereitschaft nicht gebracht haben, verabschiedet. Andere sind neu dazugekommen. Ein besonders toller Partner, der neu dazugekommen ist, ist das Pavel-Haus mit Michael Petrovic. Die leisten dort wirklich erstklassige künstlerische und kulturpolitische Arbeit.

Das forum stadtpark ist heuer nicht dabei.

Aus einzelnen Szenen gibt es immer wieder Kritik, der steirische herbst fördere zu wenig heimische Künstler und Produktionen.

Das ist Quatsch. Die Gießkanne kann und will ich nicht sein. Dazu ist die Landes- und Stadtkulturpolitik da. Was der steirische herbst tun kann, ist, sich auf einzelne Künstler, auf junge, starke Temperamente zu fokussieren. Und da gab es in den letzten sechs Jahren mehr als genug, die die Lust und die künstlerische Kraft haben, im internationalen Rampenlicht eine neue Dimension zu entwickeln.

Die Zukunft des Festivals scheint nach den finanziellen Querelen des letzten Jahres gesichert. Aber nachdem sich ja, wie auch am heurigen Thema zu sehen ist, gesellschaftliche Zusammenhänge rasant ändern und die Kunst darauf reagiert – wie kann die Zukunft des Festivals aussehen und welche Gefahren sind Ihrer Erfahrung nach auszumachen?

Die wesentliche Gefahr scheint für die nächsten vier Jahre mit einer kompetenten Nachfolgerin und mit einer Finanzierungssicherheit gebannt. Allerdings werden sich alle Verantwortlichen fragen müssen, was ihnen der steirische herbst wert ist. Es gibt keine Kulturinstitution hier, die eine derartig starke internationale Resonanz hat. Das soll auch nicht das Kriterium sein, aber international ist die Außenwirkung doch ein wichtiger Punkt. Es ist das, was den steirischen herbst spannend macht, nämlich junge Künstler zu entdecken und in eine internationale Umlaufbahn zu bringen. Das Schönste, was passieren kann, ist, wenn beim steirischen herbst eine Initialzündung stattfindet. Als ein Beispiel nenne ich etwa den Komponisten Händl Klaus mit etlichen Neuproduktionen und vielen Preisen. Es ist zwingend notwendig, dass man sich hier klar macht, dass nicht nur entscheidend ist, dass es hier eine große Resonanz gibt. Sondern dass auch sehr, sehr wichtig ist, dass das, was hier entwickelt worden ist, eine internationale kraftvolle Fortsetzung findet. Und im internationalen Festivalkonzert ist der steirische herbst an einer kritischen Marke, was die Finanzierung betrifft. Es ist vollkommen lächerlich, wie das einige gern tun, retrospektiv an die Siebzigerjahre zu denken. Damals hat man nur den Spiegel ein bisschen hinhalten müssen. Damals hat man sogar Retrospektiven von Komponisten gemacht, die in den Zwanzigerjahren geschrieben haben, wie Franz Schreker und Alexander Zemlinsky. Das würde ja heute keinen Menschen mehr international locken. Aber damals hat es seine Notwendigkeit gehabt. Und da gibt es einen Paradigmenwechsel, den man sich vollkommen klar machen muss und wo jede Form der Sentimentalität sich von selbst verbietet.

Ihre persönliche Zukunft heißt Kairos?

Meine persönliche Zukunft heißt Kairos. Meine Frau Barbara Fränzen und ich haben 1998 dieses Label gegründet, das ein standhafter Navigator im Feld der Zerstreuung sein will. Das mit exemplarischen Aufnahmen die widersprüchlichen Schönheiten der Neuen Musik festhält und das sich nicht mit der beschleunigten Halbwertszeit des Vergessens abfindet. Ein Label, das viele internationale Preise gewonnen hat. Jetzt gerade den Diapasson d’or in Frankreich für Gérard Grisey. Die Zukunft der nächsten zwei Jahre heißt auf jeden Fall Kairos, weil sich das international so weiterentwickelt hat und weil wir auch einen starken verlegerischen Aspekt haben. Da gibt es tolle Projekte, die jetzt vollen Einsatz erfordern.

Gibt es schon Beispiele?

Ja. Etwa die Orchesterstücke von Claude Vivier, des im Alter von 35 Jahren im Underground von Paris ermordeten Komponisten, der visionär geschrieben hat. Man kann auch Olga Neuwirth mit dem Arditti-Quartett nennen. Das ist gerade erschienen. Und es gibt ein Projekt mit Beat Furrer und einen großen Nono-Zyklus.

Franz Niegelhell

erschienen in:
Falter, 08. 06. 2005