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Seiltanz der Körperflaneure
  Jochen Rollers und Martin Nachbars "mnemonic nonstop" beim steirischen herbst


Graz - Die Stadt als einen Organismus, als einen Körper zu denken, hat bereits Generationen von Künstlern beflügelt und sich so zu einer reizvollen Akrobatik sozioästhetischen Erkundens aufgeschwungen. Das dritte Projekt der Performanceschiene "Bodies - Cities - Subjects" im Rahmen des steirischen herbsts war diesem Seiltanz gewidmet: mnemonic nonstop der beiden deutschen Choreografen, Tänzer und Performer Jochen Roller und Martin Nachbar.
Diese begnadeten Darsteller balancierten auf einer verwegenen Idee: Anatomische und choreografische Karten können übereinandergelegt werden, genauso wie Pläne verschiedener Städte. Körper und Karte schreiben sich dabei gegenseitig ineinander ein. Flaniert jemand unter solcher Voraussetzung ziellos durch eine Stadt, entsteht auch ein neues Nutzungsmuster des urbanen Organismus. Als Werkzeug für ihr Unternehmen entwendeten Roller und Nachbar die Methode des Umherschweifens (der Dérive) aus dem Instrumentenkoffer des französischen Situationismus.
Aus gutem Grund. Denn die Dérive könnte in Zeiten zunehmender Disneyfizierung und Überwachung der Städte wieder als revolutionäre Übung aufgegriffen werden. Vor allem, weil heute mit dem Körper exakt dasselbe passiert: er wird verjüngt, vercomict und gescannt. Richtig tanzen können heißt auch, gelernt zu haben, wie man im Leib umherschweifen kann.
Die beiden Künstler haben die urbane Ebene der Dérive mit der körperlichen geschickt verbunden. Und das in einer kurzen Stunde auf einer zu engen Bühne, dafür aber mit Witz und Sarkasmus, Songs und Dialogen und in kluger Aufmachung.
Das neben eine dokumentaristische Installation aus Fundstücken und Plänen von verschiedenen Wanderungen gesetzte Stück wirkte wie eine komprimierte Fassung einer größeren Arbeit. Viele Referenzen blieben versteckt, und das ließ die Performance etwas unbeleckt wirken. Sicherlich hätten sich Komplizenschaften mit Figuren aus dem Situationismus bilden lassen - mit der möglichen Konsequenz eines angriffslustigeren Politstatements.
[...]

Von Helmut Ploebst

erschienen in:
DER STANDARD, 18.10.2005