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Olga Neuwirth zur Eröffnung des steirischen herbst 2003
 



Alles ist möglich und tout est mort


„Huuuuuuh! Bello nennen sie mich … Wieso zum Teufel bin ich Bello? Bello, das bedeutet schön, dumm, wohlgenährt, ein Bello frisst Hummer und hat angesehene Eltern, ich dagegen bin struppig, schlaksig und lumpig, mein Hals ist sehnig, ich bin ein Straßenköter!“ (live gesprochen)

Worüber soll ich sprechen? Als Künstlerin möchte ich nicht der Soap-Opera von Gut und Böse folgen müssen. Was kann man aufoktroyiertem, leerem Flimmern von Bildschirmen, auf denen komplexe Gedankengänge nicht zugelassen werden, entgegensetzen? Ich bin zwar ein Kind unserer Zeit, aber zu alt für die Snowboard-Jugendkultur. Als freischaffende Künstlerin einer zuversichtslosen Generation muss man sich als Mensch und Künstler jeden Tag neu erfinden. Sein Sein neu hinterfragen. Woher soll man täglich die Kraft nehmen, künstlerisch zu arbeiten und an sich zu glauben? Die Stimmung in unserer Zeit und ihre Politik ist so, dass man den Künstler als auswechselbares Stück Fleisch hernimmt und wieder wegstellt. Will man Kunst, weil unökonomisch, wegrationalisieren?
Auf die Frage „Was soll man tun?“, sagte Theodor W. Adorno, Lenin paraphrasierend, „kann ich meist nur antworten: Ich weiß es nicht. Ich kann nur versuchen, rücksichtslos zu analysieren.“ Dieser Aussage möchte ich folgen. Ich spreche zu Ihnen von mehrfachen Rändern, von Grenzregionen. Ich bin keine Schriftstellerin, meine Sprache ist die Musik. Sie werden daher Reflexionslinien zu hören bekommen. Diese halte ich für nützlich in westlichen Ländern, die zunehmend zu Bienenstöcken mutieren und ihre Bewohner zu gierig herumsummenden Bienen, die nichts anderes mehr im Sinn haben als Gold einzusammeln. In solchen Ländern existiert aber doch auch noch jene Art geistiger Vagabunden und Abenteurer im Kopf, auf die man zu Unrecht herabblickt. Nämlich: die „Taugenichtse“, Philosophen, Musiker, Dichter, Architekten, bildenden Künstler und Erfinder. Diesen „Taugenichtsen“ verdanken wir doch das, was wir Zivilisation nennen. Und nicht den Arbeitsamen und ach so Fleißigen …

„Huuuh, die Köche sind doch unglaublich gedankenlos, stumpfsinnig, grausam und reden und reden ohne Bescheidenheit vor sich her. Viel billiges Geschwätz statt Schweigen und Aufgaben erledigen. Seht mich an, ich sterbe. Der Sturm heult, und ich heule mit. Ich bin verloren. Die Schufte mit den seidenen Anzügen haben mich mit kochendem Wasser begossen und meine linke Seite verbrüht. Das tut weh! Jetzt heule ich und heule, aber hilft das etwa?“ (live gesprochen)

Der Künstler ist heute nicht nur ein Visionär, das heißt, einer, der Konstellationen sieht. Er ist auch Konstrukteur, das heißt, einer, der Kombinationen erfindet und neu zusammensetzt. Hoffentlich bedeutet das daher, dass jedes Kunstwerk – ob offen oder geschlossen – ein Reflexionsverhältnis produziert. Versetzen wir uns in Grenzsituationen, in denen unser Verhalten hinterfragt wird, damit wir verändert daraus hervorgehen können.
Kommt nicht auch der partisanenhafte Augenblick viel zu kurz? Natürlich setzt das Hinschauen und Hinhören mit einem Zögern ein. Wo wir auf neue Ansprüche und Herausforderungen treffen, sind wir nie völlig bei Sinnen. Aber darum geht es mir, um eine intelligente Provokation der Sinne. Hamlet spricht im 3. Akt von „mortal coil“. Und diese Rolle des „sterblichen Wirrwarr“ soll für mich Kunst haben in unserer von bewusst aufgetürmten Angstkulissen und von manichäischem Denken geprägten Zeit. Irritieren zu dürfen, um ein Nachdenken anzuregen ist für mich notwendig. Es kann doch für einen Zeitgenossen nicht darum gehen, sich der Herrschaft des Ewig-Gestrigen im Kleide des Neo-Klassizismus zu unterwerfen. Widersprüchliches und Zweideutiges muss man zu Tage fördern, damit man unsere Hirne zum Bersten bringt, statt sie petrifizieren zu lassen. Und dies mit Ironie und dem Glauben an die eigene ästhetische Konsequenz des Suchens. Oder sind unsere Aufmerksamkeitsfähigkeiten schon völlig erloschen, und ich spreche nur mehr als bittere Kommentatorin einer Spezies, die an der Absturzstelle steht?

„Was die Köche da mit Normalkost anstellen, ist für einen Hundeverstand unfassbar. Die Halunken nehmen ja für die Kohlsuppe stinkendes Pökelfleisch, und die armen Menschen wissen es nicht. Es geht nicht mehr um Qualität, sondern um Quantität. Wollen sie alle ins Buch der Rekorde? Sie laufen hin, fressen, schlürfen und sind auch noch zufrieden, weil erstarrt in Angst vor dem Fremden und Unbekannten. &Mac226;Komm her Bello! Was winselst du so, du Ärmster? Hat dir jemand was getan?‘ fragen sie mich scheinheilig.“ (vom Band und dazu selbst Lippensynchron)

Zurück zu den Grenzen und Rändern. Meine taumelnde Generation, die sich nach dem Niederreißen von Tabus in den Künsten und in der Gesellschaft sehnt, kommt immer zu spät, denn die Tabus wurden bereits von den vorangegangenen Generationen gebrochen, die heute ihren festen und sicheren Status in der Gesellschaft haben. Sie ist wiederum zu spät, denn sie hat die Computer-Welt noch nicht mit der Muttermilch aufgesogen wie die Generation nach uns. Wir können nicht einmal mehr die provozierende Inevidenz eines Schaffens, das ohne innere Einheit ist, in Frage stellen, da es weder eine geforderte noch eine nicht geforderte Einheit mehr gibt. Alles ist möglich und tout est mort! Unsere Generation der 35-jährigen muss sich um alles selber kümmern: Alle vertrauten Sicherheiten sind weg, alle Töpfe sind leer und Pensionen werden ihr sicher auch keine mehr ausgezahlt werden. Aus diesen und anderen Gründen zweifelt sie häufig an sich, weil sie sich als eine durchgefallene Generation fühlt. Sie hat noch nicht gelernt, frech, selbstbewusst und auch so angepasst zu sein wie die Generation der 18- bis 25-jährigen. Das heiß: Autorität ablehnend, selbstbewusst auftretend und gleichzeitig gängige Muster affirmativ bedienend. Das einzige uns Gemeinsame scheint die globalisierte Weltordnung des organisierten Unrechts zu sein. Dennoch: Unsere Generation steht für Suche, für Orientierungslosigkeit in Kunst, Gesellschaft und Privatleben. Vielleicht ist unsere Generation auch die Zustandsbeschreibung einer Grenzüberschreitung, eines Eindringens in den Bereich des konkreten und abstrakten Unsagbaren. Ist das der Versuch einer Orientierung im Leerraum? Ist das unsere Chance? Wir nehmen einen bestimmten Ort ein, können aber auch die Orte wechseln und daher beweglich sein. Diese Bewegung ist, positiv gesehen, eine Grenzüberschreitung, da wir genötigt werden, den Übergang zu denken und zu leben. Ich glaube, dass der Wohnsitz des Künstlers mitten in der Welt sein und dass das Ich zwischen Weltflucht und Weltbindung hin- und herwandern muss. Das ist anstrengend. Man fragt sich immer wieder, wie lange man das eigentlich durchhalten soll.

„Was habe ich getan? Fresse ich die Volkswirtschaft arm, wenn ich eh nur den Müll durchwühle? Gieriges Vieh! Seht euch bloß mal die Visagen an! Die Seite tut unerträglich weh, und meine weitere Hundekarriere ist deutlich abzusehen: Morgen werden sich Geschwüre bilden, und womit soll ich die kurieren? Im Sommer kann man im Park herumflitzen, da wächst ein sehr gutes Kraut, außerdem frisst man sich an Wurstzipfeln satt. Und wenn nicht eine weitere, gecastete, jugendliche Eintagsfliege auf der Wiese im Mondschein eine Donna-Summer-Coverversion singt, so dass einem das Herz in die Hose rutscht, ist es dort wunderschön. Aber wo soll ich jetzt hin?(vom Band und dazu selbst Lippensynchron)

Vielleicht sind wir die erste Generation, die in der Lage ist, ohne Ausrichtung auf eine ideologische Schule zu arbeiten. Nehmt euer Leben selbst in die Hand ist die Devise.
Stets ohne Boden zu existieren ist aber auch irritierend. Niemand kann heute noch einen globalen Sinn formulieren. Genau diese Krise des Nicht-Wissens-Wohin – die ja in allen künstlerischen Disziplinen aufscheint – steht im Mittelpunkt meines Interesses. Vielleicht kann man aus dieser Krise eine Ur-Kraft oder besser eine Un-Kraft, etwas Neues, Anderes ziehen, obwohl es ein Leben und Arbeiten in ständiger Unruhe und Unsicherheit bedeutet. Das ist mühsam. Dennoch habe ich mich einer Randgruppe, die wir Komponisten der so genannten „ernsten zeitgenössischen Musik“ darstellen, nahe gefühlt. Wir können nicht der Mainstream sein wollen, weil diese Art von Musik nun mal kein Wirtschaftsfaktor ist.
Was macht man also mit der verwirrenden Situation als noch relativ junge Komponistin, die noch die nächsten 50 Jahre schaffen soll? Obwohl wir als Künstler heute natürlich auch mit der Geschichte der Kunst leben und Traditionen weiterschreiben – das zu verleugnen wäre dumm –, können wir doch gar nicht anders als wieder aufzurufen, all unsere Väter zu ermorden. In einem Aufblitzen von jäher Intensität sage ich mir, es gibt keinen besonderen Grund zum künstlerischen Arbeiten, genau deshalb tue ich es, und denke an die Möglichkeit, dass andere, bessere Zustände, von Dauer sein könnten.
In der so genannten „ernsten zeitgenössischen Musik“, die am Rande der Gesellschaft steht und einer deren Repräsentanten ich bin, braucht man sich zwar nicht mehr vor Schönberg als einer Art Moses zu hüten, aber wir brauchen uns auch nicht mehr vor allen folgenden musikalischen Gesetzestafeln hüten. Der „Tanz um das goldene Kalb“ ist bereits in vollem Gang. Wir sind in einer Welt der gehypten Gegenständlichkeit und des „Starmania“-Kults meist die ersten Opfer eines nur noch auf Effizienz und Auslastungszahlen ausgerichteten Denkens. Eine nur noch auf die wirtschaftliche Not reagierende Kulturpolitik versucht sich dem Massengeschmack anzupassen und somit Individualität zu unterdrücken. Die „Peitsche des Marktes“ schlägt in der Kunst genauso wild zu wie in der Wirtschaft. Die ökonomische Frage wurde in den vergangenen Jahren nicht nur in der Politik zur Hauptfrage hochstilisiert, sondern tritt nun auch in der Kunst an die erste Stelle. Jedenfalls kann ich mit meiner für die jetzige Zeit völlig unökonomisch geschriebene Musik der brutalen Eindeutigkeit des „gesunden Volksempfindens“ nicht entsprechen, da sie den Hörer auch fordert hinzuhören und so hoffentlich zu einem Spiegel gesellschaftlicher Befindlichkeit wird. Die Frage in einer Zeit der Event-Kultur ist aber: Ist eine Musik besser, wenn sie von 50.000 oder sogar 100.000 Menschen gehört wird und diese Musik den Menschen die von ihr immer wieder geforderte Funktion einer „alles verbindenden, machtvoll schöpferischen Schicksalsgemeinschaft“ vorspiegelt? Für mich persönlich kann der Sinn von Musik nicht darin liegen, Menschen mit Verheißungen einer alle Grenzen überbrückenden Gemeinsamkeit einzulullen und gefügig zu machen.
Im Gegensatz zu den darstellenden Künstlern wird der schöpferische und oft freischaffende Künstler immer häufiger als Hofnarr behandelt, der so lange agieren darf, solange er alles akzeptiert und die Machtdemonstrationen der Veranstalter und Auftraggeber nicht stört. Denn immer mehr Auftraggeber sichern sich juristisch stärker ab, während der Künstler immer ungeschützter zurückbleibt.

„Ich kann leicht eine Lungenentzündung kriegen, liebe Leute, dann muss ich Hungers krepieren, doch wer wird dann für mich, den einsam daliegenden Hund, die Müllsäcke nach Nahrung durchsuchen? Hat man Ihnen schon einmal einen Ziegelstein in den Rücken geworfen? Ich habe alles durchgemacht, soll ich mich mit meinem Schicksal abfinden? Und wenn ich jetzt heule, dann nur vor physischen Schmerzen und Kälte, denn mein Geist ist noch nicht erloschen. Hunde haben einen zähen Geist!“ (nur vom Tonband)

Ich fühle mich als Künstler noch nicht bedroht, auf einer schwarzen Liste zu landen, da ich keine die Massen bewegende Musik schreibe, aber darum geht es auch nicht. Diese Art von musikalischem Denken und Arbeiten, weil sie nicht automatisch restaurativ, affirmativ und angepasst ist, wird als „elitär“ abgeurteilt. Der Vollständigkeit halber muss ich allerdings erwähnen, dass das so genannte Kunst- und Musikbusiness ein riesiges Haifischbecken ist, in dem ständig gekämpft und weggebissen wird und eine alles überdeckende schlechte Laune herrscht. Natürlich weiß ich, dass die eigene Musik geradezu marginal ist im Vergleich mit den großen Problemen auf der Welt, und dass wir mit „zeitgenössischer Musik“ keine besseren Menschen kreieren können. Leider. Es ist nicht die Musik an sich, wie so oft behauptet wird, die den Menschen erst zu einem sozialen Wesen macht. Dieser Idealismus wäre wunderschön, nur muss man daran denken, dass gerade oft die größten Diktatoren absolute Musikliebhaber waren und sind …

„Jetzt hab ich genug gehungert und gelitten, mir reicht’s und ein Leben nach dem Tode gibt es nicht. Die Verzweiflung warf mich nieder, aber ab jetzt kein breiiges Gejammere mehr! Ich fühlte mich einsam und verängstigt, dass mir kleine Hundetränen aus den Augen tropften. Was ist denn Freiheit? Nur Rauch, Trugbild, Fiktion. Eine Fieberphantasie. Mir reicht’s, ich reiß mich jetzt von mir selbst los, ich werde mich verwandeln: von Doktor Jekyll zu Mister Hyde werden, beides in mir vereinen. Nicht nur mehr träumen, sondern im entscheidenden Augenblick das unheimliche Tier in mir von der Leine lassen und mich in etwas Gefährliches verwandeln das sich wehrt.“ (nur vom Tonband)

Da wir offensichtlich im Zeitalter der ultimativen Bilderflut und Musikberieselung leben, können wir, wenn wir Komponisten bleiben wollen, ohnedies nur sagen: Ich möchte Musik hören und daher auch schreiben, von der man nicht jeden Tag vom Radio und Fernseher her angeschossen wird. Musik verschließt sich immer auf gewisse Weise, da sie eben erst im Kopf jedes Zuhörers selbst zusammengestellt werden muss. Das Gegenständliche hingegen lässt sich leichter konsumieren. Die Quasi-Sprödheit der „ernsten zeitgenössischen Musik“ ergibt sich durch den scheinbaren Mangel an äußeren Bezugspunkten in einer von Bildhaftigkeit besessenen Zeit. Obwohl ich gerne in anderen Kunstsparten forsche und mit diesen einen Austausch suche, um schlüssige Gegenweltentwürfe zum postmodernen „anything goes“ zu formulieren, befasst sich Musik als abstrakteste aller Kunstformen stets nur mit dem eigenen Material und den eigenen Formen. Sie verweist letztlich auf sich selbst.
Das Sicht- und Hörbare kann in unserer technischen Welt Verborgenes enthalten und das Verborgene kann Sicht- und Hörbares enthalten. Was ist aber noch real und was phantomhaft? Wenn das Phantom wirklich wird, wird das Wirkliche dann phantomhaft? Ist vielleicht Poesie, das Geheimnisvolle, das, was die greifbare Wirklichkeit erweitert und was unser Aktionsfeld als Komponist sein könnte? Andrè Breton meinte: „Das Wunderbarste am Phantastischen ist, dass das Phantastische nicht existiert, alles ist real.“ Aber wohin führen all diese Reflexionen, wenn es eigentlich nur um das kraftvollste Bild und das „Ich“, um die bestmögliche Vermarktung der „Ich-AG“, geht?

VERWANDLUNG:
„Ich sehe einen See, darin sitzen fröhlich nie gesehene rosa Hunde aus dem Jenseits. Die Worte der sich ach so erhaben fühlenden Menschen zerfließen zu rosa Strömen. Das Entsetzen weicht und wird von Freude abgelöst. In diesem Moment liebe ich sogar die mich Beißenden und auch meine Artgenossen, die unter dem Druck, sofort gefallen zu müssen, in vorauseilendem Gehorsam den bekannten, gefälligen Modellen des Wedelns verfallen. Ich pfeife auf die, die keinen Mister Hyde in sich kennen und im Retro-Trend dem Quasi-Schönen und den eifrig ertüftelten Formen nachhecheln und allenfalls absichtsvoll ein bisschen hinken und die Augen verdrehen, damit sie dem Herrchen gefallen. Von nun an heiße ich Below und füttere das monströse Tier in mir, um mich zu schützen.“ (nur vom Tonband: mit langsamer Stimmveränderung in die Tiefe)

Als Künstlerin und speziell als Vertreterin einer Kunstsparte, in der man von Anderen, von Ausführenden abhängig ist, kenne ich eine weitere Randsituation. Ich weiß, Sie denken nun, das ist ein Klischee. Meiner Meinung nach aber hat sich im Verhalten Künstlerinnen gegenüber noch nicht viel geändert, speziell in Österreich. Abgesehen davon, dass man nach neuesten Studien weiß, dass Frauen schamloserweise immer noch um 40% weniger Bruttoeinkommen beziehen als Männer, herrscht in unserem Bereich weiterhin der unausrottbare Glaube, Genie sei männlich. Hinter unserem weiblichen Rücken wird daran festgehalten, dass Komponieren für Frauen eher ein unvorhergesehener geistiger Unfall sei, und daraus folgt, dass weibliche schöpferische Arbeit in der Musikwelt weiterhin nicht wirklich ernst genommen und die Frau im Allgemeinen zu großen Kunstschöpfungen nicht für fähig gehalten wird. Zitat eines mächtigen Musikveranstalters: „Wenn aus Ihnen nichts wird, können Sie noch immer heiraten und Kinder kriegen.“ Aber die Frau und daher auch die Künstlerin scheint mir nicht so hoffnungslos befangen in der selbstverliebten Obsession einer Einheit und Beständigkeit des souveränen Ichs, sie zweifelt und hinterfragt sich selber häufiger und wird dadurch angreifbar. Die meist männliche Ich-Gewissheit bedeutet Macht, sollte aber als Produkt der Selbstverkennung und Überschätzung eher entsorgt als kultiviert werden. Kein, beziehungsweise weniger „Ich“ bitte!
Zu dieser „Ich“-Besessenheit ohne Bescheidenheit gesellen sich im Privaten wie im Beruflichen gerne die allgegenwärtige verbale Präpotenz und Inkontinenz. Wo man hinkommt, spricht jeder pausenlos über seine Vorstellung von Freiheit, Leben und Arbeit. Viele übersehen dabei die Möglichkeit, dass der andere, das Gegenüber, andere Vorstellungen dazu haben könnte. In so einem Fall ist Kommunikation daher nicht mehr ausreichend. Allüberall wunderschöne Theorien, also Wünsche, aber nur selten kommt es zur Praxis, der Differenz zum Wunsch. Man klammert Leidenschaften aus und ruft nach Vernunft. Aber das ist eher ein Fluchtverhalten, um sich nicht mit Problemen auseinander zu setzen und sich keine Feinde zu schaffen, damit man nicht gestört werde in unserer „bleiernen Zeit“! Aber warum hat man so sehr Angst vor Emotionen und dem Ausleben und Ausdiskutieren von Konflikten? In einer Welt, von der doch andererseits festgestellt wird, dass sie von einem mit äußerster Geschwindigkeit ablaufenden proteischen Verwandlungsprozess hin- und hergerissen wird, wäre dies eigentlich nicht zu erwarten. Es kann aber nur Egalität geben, wenn man auch versucht, das Gegenüber zu verstehen. Daher wird das scheinbar so neutrale Schweigen zu unerträglicher und falscher Güte. Wer Fragen hat und Konflikte nicht scheut, bekommt nicht die Chance, sie auszutragen, um sie zu verstehen. Wenn man nämlich weiß, womit man konkret rechnen muss, kann man gefasster sein. Es ist der Schrecken der Milde, der durch Wohltemperiertheit, Kraftlosigkeit und Entscheidungslosigkeit hervorgerufen wird! Wenn man alles Menschliche in quasi-vernünftige Normen zwingen will, um Visionen abzutöten, dann will man letzten Endes die Erstarrung des lebendigen Geistes. Daher plädiere ich für mehr Mut zur Offenheit! Auch die Illusion darf nicht zu kurz kommen, ich zitiere aus Leopardis „Zibaldone“: „Um große Taten zu vollbringen, die kaum anderem entspringen können als der Illusion, reicht es gewöhnlich nicht, die Phantasie zu täuschen, wie es bei der Einbildung eines Philosophen der Fall wäre oder bei den Illusionen unserer tatenarmen Zeit, es bedarf vielmehr, wie bei den Alten, einer Täuschung der Vernunft (…) „Daraus folgt (…), dass die Freiheit der Nationen weder durch die Philosophie noch durch die Vernunft gesichert wird (…), sondern durch die Tugend, die Illusionen, die Begeisterung, kurz durch die Natur, von der wir himmelweit entfernt sind. Und ein Volk von Philosophen wäre das schwächste und feigherzigste der Welt.“ Das ist jetzt kein Aufruf, unsere geschätzten Philosophen zu massakrieren, sondern ein Aufruf nicht zu schweigen, sondern zu handeln und nicht sofort „das geht nicht“ zu dekretieren. Die Frage ist allerdings: Gibt es die Freiheit des Handelnkönnens in allen Bereichen des durchorganisierten Daseins überhaupt noch? Das wäre für mich aber die vorrangige Aufgabe als Mensch, auch wenn man daran immer wieder scheitert.
Wenn schon Kunst nicht, wie Hanns Eisler hoffte, „zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Sache“ wird, dann sollte Kunst wenigstens das Unbegrenzte, Unbekannte, Leicht-Schwebende ohne Bombast und Sentimentalität sein. Vielleicht sollten wir uns wieder der Lust am Paradox hingeben und uns gegen falsche Harmoniesucht wappnen. Oder sollte ich mich nicht hingegen doch, wie Hanns Eisler kritisch reflektierte, der Musik „in der niedrigsten Form“, nämlich als „Spaß, Vergnügen und Zerstreuung“ hingeben und mich nicht doch, wie die Frau Bildungs- und Unterrichtsministerin ohnedies von uns 35-jährigen glaubt, in Partys werfen oder mich in eine Wohnung auf Ibiza zurückziehen?

„Ich als Below sehe Schreckliches: Wichtige, eitle Menschen senken ihre Hände in glatten Handschuhen und heben mein Gehirn aus dem Einrex-Glas heraus. Hartnäckige Menschen, die ständig etwas wollen, schneiden, untersuchen und verurteilen. Umklammert von moralischen Postulaten und gleichzeitig konfrontiert mit Krieg und Verelendung sollen wir mit althergebrachten kulturellen Beschwörungen still gehalten werden. Wir werden aufgerufen die Ruhe nicht zu stören und die wiedergekehrte biedermeierliche Moral mit einer Verbeugung vor dem guten Geschmack – was auch immer das ist – mit leerem, weißem Humor als prosaische Eckpfeiler einer erdrückenden, unerträglichen Realität zu würzen. Bevor das aber passiert, trällere ich &Mac226;Zu des Niles heil’gen Ufern‘ und &Mac226;Die Kunst, ja die Kunst, die ist so schön‘. Schnell erträume ich mir weiter phantastische Freiräume und unbändige Musik, durch die ich existiere, damit sie etwas Lebendiges bleibt und nicht in gewünschten steifgeschlagenen Sahnehäubchen erstarrt. Kompromisslos bleiben und rücksichtslos und vorsichtslos mögen wir Werwölfe mit Kunst den Raum behaupten, ohne uns ständig dafür rechtfertigen zu müssen. Stellen wir uns der Gefühllosigkeit, der Kommunikationsunfähigkeit und der Bequemlichkeit unserer von Medien und Regeln dominierten Gesellschaft entgegen. Also „wehren“ wir uns, Werwölfe, gegen die Starrheit mit Mut, denn wer sich fügt, der lügt! Daher brüll ich jetzt das Leben an: „knuuuuUUURRRRRRRRR!“ (nur meine Stimme in die Tiefe transponiert)